Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lady Punk - Roman

Lady Punk - Roman

Titel: Lady Punk - Roman
Autoren: Beltz & Gelberg
Vom Netzwerk:
gar nichts.
    In Terry war von Satz zu Satz diese fiebrige Freude abgesunken wie das Quecksilber in einem Thermometer, das sich dem Gefrierpunkt nähert. Beim dritten Durchlesen war Terry eiskalt geworden. Sie schämte sich für ihren Brief, und sie dachte, wie kamen all die Gedanken in ihren Kopf, solche Gedanken, wenn dieser Mensch einen Brief wie diesen schreiben konnte.
    Sie besah sich die Fotografie. Die vielen Leute drauf waren die Familie C. W. Burger, und sie bestand aus einer Menge dicker Kinder, vier, nein, fünf davon, und einer dicken Frau. Sie saßen auf kurz geschorenem Gras vor einem ländlich aussehenden Haus und grinsten alle bis über die Backen. In der Mitte, das musste C. W. Burger sein, und er war groß und dick und ziemlich glatzköpfig. Auch er grinste bis über die Backen. Es war unglaublich, aber es war nicht Terrys Vater, den sie von dem alten Foto kannte und der in ihrer Erinnerung war, es war jemand ganz anderes, und dieser C. W. Burger sah verdammt noch mal fast so aus wie Onkel Bernd.
    Terry zerriss langsam Brief und Foto in kleine Stücke. Dann holte sie das alte Foto von C. W. Burger aus ihrer Hosentasche und machte auch daraus tausend kleine Schnipsel. Sie legte das Papierhäufchen in den Kristallaschenbecher, den sie, seit sie das Rauchen aufgegeben hatte, als Aufbewahrungsplatz für angebissene Radiergummis, Tintenpatronen und Deorollkugeln benutzte. Die Patronen und die milchglasweißen Deokugeln rollten von ihrem Schreibtisch, auf den sie vorher den ganzen Inhalt des Aschenbechers ausgeschüttet hatte. Und in dem Moment wusste Terry genau, dass es sich um eine Illusion gehandelt hatte, und sie war nur froh, dass sie ihrem Ruf alle Ehre machte und tatsächlich hart war, hart und gefühllos, so eiskalt, dass sie Eiswürfel pinkeln könnte.
    Mit dem Feuerzeug, das ursprünglich auch für jemand anders bestimmt war, zündete sie das Papier an. Das Pergamentpapier brannte schnell und mit hohen Flammen. An den glatten Fotoschnipseln schwelte die Hitze nur, schmorte die Bilder an und rollte einige zu leeren Papierhülsen.
    Mit den ausgebrannten Resten ging Terry zum Fenster und ließ sie draußen einzeln fliegen. Asche zu Asche, fiel ihr ein. Es war das Ende des Jahrhundertsommers. Jahreszeit für Beerdigungen.
    Durch das geöffnete Fenster zog frische Luft ins Zimmer und verdrängte den Brandgeruch. Draußen blies der Wind die Fetzen hoch und fort und über das Dach. Und doch blieb alles da in Terrys Kopf, jedes Wort und der grüne Rasen vor einem ländlich aussehenden Haus und so weiter, als ob die vielen Stücke sich längst wieder vereint hätten, und Terry wusste, dass es sehr schwer sein würde, an sie heranzukommen und endgültig zu vernichten. Sie machte die Tür, hinter der sich die Bilder befanden, einfach zu, legte sich aufs Bett und setzte die Kopfhörer auf. If you’re falling … I hold you … I catch you. Terry fragte sich, wie jemand solche Musik machen konnte, ohne sie zu kennen. Sie schloss die Augen. If you’re falling … I catch you … time after time . Es war genau das, was sie jetzt brauchte.
    Als Lieschen in die Wohnung kam, lag Terry immer noch auf ihrem Bett und ließ sich die Gedanken aus dem Kopf singen. Der Kopfhörer lag fest an auf ihren Ohren, ließ kein Geräusch von außen durch, und da Terry die Augen geschlossen hielt, schrak sie zusammen, als sich etwas leicht auf ihren Oberkörper legte. Lieschen stand vor Terrys Liege. Sie hatte auf Terry eine Einkaufstüte gelegt und erwartete offensichtlich Terrys übliche Ausbrüche.
    Terry nahm den Kopfhörer ab und stellte den Recorder aus. Sie hatte jetzt wirklich keine Lust, sich irgendwie zu irgendwas äußern zu müssen. Sie war müde, obwohl ihr sicherlich beim Versuch, schlafen zu wollen, das wieder in den Kopf steigen würde, was sie verdrängen wollte. Sie hatte auch Hunger.
    Weil sie Lieschen nicht verletzen wollte, öffnete sie mit zwei Fingern die Plastiktüte. Es war etwas Gelbes darin, das sehr weich aussah. Terry zog es heraus. Es war ein wirklich hübscher Pullover, der zwei Monatsmieten in Steglitz gekostet haben musste. Zum ersten Mal dachte Terry nach über Preise. Dieser Pullover aus Angora- und Seidengarn war ein kleines Vermögen wert, für Leute wie die Mutter des verrückten Herbert wahrscheinlich und für Frau Krosanke, die dafür zwei Wochen lang jeden Tag bis mittags bei ihnen arbeitete. Seltsame Gedanken hatte Terry, und es war nur, weil sie sich irgendwie zwingen wollte, auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher