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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
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|7| EINS
    Der Tag, an dem, wie ich heute weiß, alles anfing, begann übel, sozusagen auf dem untersten Level, ich hätte also gewarnt
     sein müssen. Allerdings, und das muss ich zu meiner Entschuldigung sagen, fingen die meisten Tage so an. Sowieso nie vor Mittag
     und mit einem widerlichen Geschmack im Mund, einem dicken, flusigen Otterpelz auf der Zunge, einem quälenden Heimwerkerwetthämmern
     im Kopf und dem üblichen Schmacht nach einer Zigarette, einem Bier und einer Frau.
    Bier war keins da, für die Zigarette musste ich aufstehen und eine Frau hatte ich schon länger nicht mehr gehabt. Während
     ich noch ein bisschen im Restschlaf vor mich hin dämmerte, fiel es mir plötzlich ein: Ich war verdammt spät dran. Das war
     an den meisten Tagen kein Problem, aber an diesem Tag hatte ich einen wichtigen Termin. Einen Auftrag. Einen wichtigen Auftrag
     von einem wichtigen Mann. Und ich wollte alles richtig machen und hatte schon verpennt! Ich konnte von Glück sagen, dass der
     Druck in meinem Ablassrohr meinen seligen Schlaf unterbrochen hatte. Natürlich war es nicht der Druck im Rohr, sondern |8| in der Blase, würde Martin jetzt sagen, denn Martin ist gern präzise. Aber damals kannte ich ihn noch gar nicht. Ich sollte
     ihn erst ein paar Tage später unter für mich ausgesprochen unerfreulichen Umständen kennenlernen und formulierte daher biologische
     Gesetzmäßigkeiten noch reichlich laienhaft und somit unpräzise.
    Hätte ich geahnt, dass an diesem Tag die Weichen für den Rest meines Lebens gestellt wurden, wäre ich natürlich liegen geblieben.
     Aber ich hatte keine Ahnung, sehe auch jetzt im Rückblick keine Anzeichen, die auf die kommende Katastrophe hingedeutet hätten.
     Ich stand also auf und genauso blind, wie ich ins Bad schlurfte, lief ich in mein Verderben.
    Normalerweise riskiere ich um diese Uhrzeit noch keinen Blick in den Spiegel, aber da ich schließlich noch etwas vorhatte,
     unterzog ich meine Erscheinung einer kritischen Inspektion. Nicht dass Sie jetzt meinen, ich würde kurz nach dem Aufwachen
     schon in Worten wie »kritisch« und »Inspektion« denken, auch diese Worte habe ich erst durch Martin wieder in meinen aktiven
     Wortschatz zurückgeholt. Ich denke kurz vor dem Duschen überhaupt nicht viel und wenn, dann nur in einsilbigen Grunz- und
     Brummlauten.
    Ich blinzelte also einfach so lange mit den verklebten Augen, bis ich erstens erkennen konnte, wo der Spiegel hing, und zweitens
     einen mittleren Schock erlitt, als die Visage, die mich anstarrte, klarer wurde.
    Mit dem schärferen Blick kam die Erinnerung an Bennies neues Messer zurück. Er hatte mit dem Ding herumgefuchtelt und etwas
     gesucht, das er zerschneiden konnte, um zu beweisen, wie scharf die Klinge ist. Seine suchenden Augen fanden – mich. Ich stand
     in Reichweite, er griff mit |9| der linken Hand in meine Haare, und mit einem blitzschnellen Schnitt hatte er mir eine neue Frisur verpasst. Weil ich zuckte,
     und nur deshalb, betonte Bennie später, schlitzte die Klinge im Anschluss an den Haarschnitt auch noch meine linke Augenbraue
     auf. Eine dünne Spur getrockneten Blutes zog sich also auf dem Gesicht im Spiegel von der Augenbraue bis zum Kinn, und bei
     der Erkenntnis, dass diese hässliche Fratze dort meine eigene war, erschrak ich wirklich sehr.
    Ich verplanschte eine Menge warmes Wasser, bis ich wieder einigermaßen zivilisiert aussah, wobei ich die letzten Jahre darauf
     verwendet hatte, mir genau diese, aus meinem Elternhaus stammende Zivilisation abzutrainieren. Aber mein wichtiger Auftrag
     erforderte ein unauffälliges Äußeres, und daher wählte ich nach der Dusche eine blaue Jeans, eine dunkle Jacke und eine Dachpappe,
     die das Ergebnis der Messerstecherei auf meinem Kopf einigermaßen verbarg. Ein prüfender Blick in den staubigen Spiegel meines
     wackeligen Kleiderschranks zeigte das Bild, für das ich mir solche Mühe gegeben hatte: Einen mittelgroßen, unauffälligen,
     etwas dürren Typen mit halblangen Haaren, die ich auch noch unter die Mütze steckte. Straßenköterblond mit unauffälligem Profil,
     gerader Nase, schwach ausgeprägtem Kinn und hängenden Schultern. Ein Allerweltstyp, den auch die neugierigsten Augenzeugen
     nicht konkret würden beschreiben können. So wollte ich aussehen, weil ich dachte, dass mir das irgendwie helfen würde. Alles
     Blödsinn!
     
    Ich machte mich zu Fuß auf den Weg zum Parkplatz des »Congress-Centrum Coeln«, wie das auf Neudeutsch heißt. Wenn
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