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Das Buch mit dem Karfunkelstein

Das Buch mit dem Karfunkelstein

Titel: Das Buch mit dem Karfunkelstein
Autoren: dtv
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Ein böser Verdacht
    Um die alten Mauern des Klosters von Erlenburg tobte der erste Herbststurm, rüttelte an den Toren und ließ die Schieferdächer
     klappern. Fröstelnd wickelte Paul sich fester in seinen wollenen Umhang und schlug die Kapuze über den Kopf. Er warf noch
     einen Blick über die Schulter ins Skriptorium. In der Schreibstube des Klosters sah alles aus wie immer. Niemand würde die
     verklecksten Pergamentbögen finden. Er hatte sie gut versteckt.
    Vorsichtig öffnete er die kleine Pforte. Kalter Regen klatschte ihm ins Gesicht. Er blieb stehen und lauschte angespannt in
     die Dunkelheit. Vom Stadttor her hörte er die uralte Toreiche im Sturm ächzen. Der Wind fegte ihre Blätter über die Klostermauern
     bis vor seine Füße. Aus der Kirche klangen Fetzen von Gesang zu ihm herüber. Das abendliche Gebet zur Vesperstunde war schon
     fast vorbei.
    Da hätte er jetzt auch sein müssen! Hoffentlich merkten die Mönche nicht, dass er fehlte! Er würde einen Verweis bekommen,
     aber das war bestimmt nicht so schlimm wie die Stockschläge, die ihn wohl für die verdorbenenPergamentbögen erwarteten. Er hatte sich so geärgert, als die Tinte in hohem Bogen darauf spritzte und auf drei der teuren
     Bögen hässliche Flecken hinterließ. Da half kein Wischen. Und Bruder Gregor, der freundliche alte Bibliothekar, hatte ihm
     doch genau erklärt, wie wertvoll Pergamentbögen waren und wie lange es dauerte, Tinte herzustellen! Und jetzt das!
    Leise zog Paul die Tür hinter sich zu und blickte sich rasch um. Bewegte sich da nicht ein Schatten? Nein, er hatte sich wohl
     getäuscht. So schnell er konnte, rannte er durch den strömenden Regen zu dem gegenüberliegenden Haus. Dort stand sein Bett
     in einem Saal, wo auch die anderen Jungen schliefen. Wie er waren sie Oblaten. Sie waren Kinder, die von ihren Eltern aus
     den verschiedensten Gründen dem Kloster übergeben worden waren, damit sie zu Mönchen erzogen wurden. Die älteren Jungen waren
     sogar schon Novizen und würden bald zu Mönchen geweiht werden.
    Paul wollte gerade die Tür öffnen, als er heftig am Arm gepackt wurde.
    »Quid facis hic?«
    Paul fuhr erschrocken zusammen. Er erkannte Bruder Lambert an seiner hohen, nörgelnden Stimme. Jetzt hörte sie sich auch noch
     zornig an.
    »Ach, du verstehst ja noch kein Latein. Also, was machst du hier? Und wieso bist du nicht zur Vesper in der Kirche?«
    Aufgebracht zerrte Bruder Lambert den Jungen am Arm zu sich herum.
    Lambert war der Subprior des Klosters, der Stellvertreter des Priors. Immer, wenn der Abt sich auf Reisen befand, vertrat
     Prior Theobert ihn mit Bruder Lamberts Hilfe. Der ehrgeizige Lambert genoss sein Amt in solchen Fällen besonders.
    Paul rutschte das Herz bis in die Kniekehlen. Was sollte er tun? Er konnte Bruder Lambert nicht ausstehen, aber er musste
     ihm antworten. Nur: Was sollte er sagen? Gerade der übellaunige Lambert durfte nicht wissen, was geschehen war!
    »Also?«, fragte Bruder Lambert noch einmal scharf.
    Paul senkte die Augen und biss sich auf die Lippen.
    »Verstockt, wie? Es wird dir nichts nutzen. Morgen früh nach der Morgenandacht wirst du sprechen. Das rate ich dir wenigstens.«
    Lambert warf Paul einen drohenden Blick zu, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in Richtung Kirche.
    Morgen früh? Was sollte das heißen? Pauls Magen verkrampfte sich. Er fühlte sich plötzlich müde und hilflos. Das Leben hier
     war so   … so beängstigend anders als zu Hause.
    Seufzend zog er die Tür zum Schlafsaal hinter sich zu und sperrte den Sturm aus. Eine Fackel neben einer schmalen Holztür
     tauchte den Raum in flackerndes Licht. Bruder Hubertus, der Novizenmeister, schlief hinter dieser Tür. Er unterrichtete die
     jungen Oblaten und auch die älteren Novizen. Er passte auch nachts aufseine Schüler auf und weckte sie pünktlich zu den nächtlichen Stundengebeten.
    Paul lehnte sich erschöpft an die Wand. Wie sollte er es schaffen, hier sein ganzes Leben zu verbringen? Als er Anfang Oktober,
     das war vor zwei Wochen, ins Kloster gekommen war, hatte noch eine spätsommerlich warme Sonne geschienen. Damals war ihm der
     Ritt mit seinen Eltern hierher nach Erlenburg wie ein Abenteuer vorgekommen.
    Der Gewürzkrämer Josef Steinhaus hatte die Familie seiner Schwester Susanna herzlich aufgenommen. Sogar Tante Adelgunde hatte
     ihren »lieben Neffen Paul« in den Arm genommen. Und Agnes, seine Cousine, mochte er sowieso.
    Zwei Tage später waren seine Eltern mit
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