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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
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herum. Nachdem ich
     eine ganze Weile so verbracht hatte, langweilte ich mich irgendwann, traute mich aber auch nicht, das Untergeschoss zu verlassen,
     also zog ich mich vor meine Kühlfachtür zurück und döste vor mich hin. Zumindest diese Fähigkeit hatte ich nicht verloren,
     darin war ich schon immer ganz gut gewesen.
     
    Martin war wieder der Erste, den ich am nächsten Morgen sah, und er strahlte eine deutlich spürbare ängstliche Unruhe aus.
     Wie vor einem Auftrag, von dem man eigentlich weiß, dass er eine Nummer zu groß ist.
    »Hallo Martin«, sagte ich, und an seinem erschrockenen Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass er mich wieder gehört oder
     zumindest irgendwie gespürt hatte, denn wenn ich hier schreibe, dass ich etwas sage, dann hat das |27| natürlich nichts mit der Erzeugung von Tönen zu tun, denn dafür bräuchte man ja Stimmbänder. Meine lagen allerdings zerschnipselt
     in der aufgeschnittenen Kehle der Gulaschleiche in Kühlfach vier.
    »Ich bin Pascha, der Kerl aus Kühlfach Nummer vier. Du wolltest mir gestern die Eier abschneiden.«
    Ich gebe zu, nicht die nervenschonendste Vorstellung, aber immerhin direkt und zutreffend. Er sollte gleich wissen, mit wem
     er es zu tun hat.
    »Sascha«, flüsterte Martin. Er konnte natürlich nicht wissen, dass ich, seit es diesen Westfalen-Schnulzomat mit meinem Namen
     gibt, den ersten Buchstaben ausgetauscht habe und mich nun Pascha nenne. Das erklärte ich ihm netterweise.
    Martin stand an der Wand, seine pummelige Gestalt zuckte und zappelte und seine Gesichtsfarbe ähnelte der seiner gekühlten
     Kunden. Er fuhr sich mit der zitternden Hand fahrig über seine Augen.
    »Ich höre Stimmen.«
    Das sagte er nicht, er dachte es, und ich konnte es hören! Geil!
    »Wenn du mehrere Stimmen hörst, solltest du zum Arzt gehen, wenn du nur meine hörst, ist das in Ordnung, immerhin rede ich
     schon die ganze Zeit mit dir!«
    »Wer bist du?«, fragte er flüsternd.
    »Das habe ich dir doch gerade erklärt«, sagte ich leicht genervt. »Ich bin von dieser Brücke geschubst worden, du hast mich
     an Ort und Stelle begutachtet, und gestern hast du mich auf deinem Tisch fast püriert!«
    »Aber du bist tot, du kannst nicht mit mir sprechen«, wandte er ein.
    |28| Okay, der Mann ist Naturwissenschaftler, aber trotzdem fand ich, dass er sich für einen Akademiker ganz schön blöd anstellte.
    »Hast du noch nie diese Nahtod-Geschichten gehört? Die Seele verlässt den Körper, hängt noch eine Weile herum und macht sich
     irgendwann auf den Weg durch den Tunnel.«
    »Ja«, hauchte er.
    »Aber hier ist kein Tunnel, ich weiß nicht, wo ich hin soll.«
    Er schwieg. Ich schwieg auch und so hingen wir unseren Gedanken nach, wobei seine ein wirres Durcheinander bildeten.
    Plötzlich ordnete sich das Neuronenchaos in seinem Hirn und ein Gedanke formulierte sich klar und deutlich aus der Buchstabensuppe
     heraus: »Du hast gesagt, du wurdest gestoßen?«
    »Na klar«, sagte ich, »denkst du, ich stürze mich einfach so von einer Behelfsbrücke, weil meine Socken leer sind?«
    Ich konnte die Fragezeichen förmlich aus seinen grauen Zellen heraufploppen sehen, die Formel mit den Socken kannte der Naturwissenschaftler
     natürlich nicht.
    »Du warst stark alkoholisiert«, wandte er vorsichtig ein. »Na ja«, gab ich gedehnt zu. »Ich hatte ein bisschen getrunken …«
    »Du hattest drei Komma sieben Promille im Blut«, entgegnete Martin, er ist ja gern präzise, aber das sagte ich wohl schon.
    »Drei Komma sieben! Alle Achtung!« Ich war von mir selbst schwer beeindruckt. Die Freude hielt allerdings nicht lange an,
     denn mein alkoholisierter Zustand sollte hier augenscheinlich |29| gegen mich verwendet werden. Mein Mörder käme ungestraft davon, weil die amtliche Meinung meinen vorsätzlich herbeigeführten
     Rauschzustand als ursächlich für den Sturz von der Brücke betrachtete. Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Und noch viel schlimmer
     war, dass meine Kumpels glauben würden, ich sei so besoffen gewesen, dass ich aus eigener Blödheit ums Leben gekommen war.
     Was ist das für ein Nachruf? Er ist besoffen von der Brücke gefallen! Also, an der Stelle packte mich die Eitelkeit, ein bisschen
     Ehrenrettung muss auch nach dem Tod noch drin sein.
    »Ich wurde gestoßen«, betonte ich daher vielleicht etwas ausdrucksstärker, als unbedingt notwendig gewesen wäre, jedenfalls
     fasste Martin sich an die Schläfen und stöhnte auf.
    »Schon gut«, jammerte er,
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