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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
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Erstes Kapitel
    Verehrte Dorfbewohner, hört euch an
    den Bericht des kleinen Zhang
    von den Ereignissen im »Paradies«.
    Als der große Kaiser Liu Bang
    die Dynastie der Han begann,
    hat er den Landkreis »Paradies« geschaffen
    und den Leuten dort befohlen,
    Knoblauch an den Kaiserhof zu holen.
    Aus einer Ballade, die der blinde Volkssänger
Zhang Kou im Sommer 1987 vortrug
1
    »Gao Yang!«
    Zwischen Himmel und Erde waberte trüber Staub, Folge der langen Trockenheit. Trotzdem brannte die Sonne in dieser Mittagsstunde besonders stark, und die Luft war angefüllt mit dem beißenden Geruch verfaulender Knoblauchstengel. Ein Schwarm blauer Krähen flatterte träge über den Hof und warf graue Schatten über den schon geernteten, aber noch nicht zu Zöpfen gebundenen Knoblauch, der in unordentlichen Haufen herumlag und in der Sonne dörrte. Schwaden von Gestank stiegen von ihm auf. Im Wohnzimmer hockte Gao Yang an einem kleinen Tisch. Seine Augenbrauen waren unglücklich herabgezogen. Er hob eine Schale Knoblauchsuppe an den Mund und unterdrückte die aufsteigende Übelkeit. Gerade wollte er sich zum Trinken zwingen, da drang durch die angelehnte, kaputte alte Hoftür ein ungeduldiges Brüllen. Es war der Dorfvorsteher Gao Jinjiao, der seinen Namen rief. Er setzte die Schale ab, stand auf und ging zum Hof. In der Tür stehend, rief er: »Bist du es, Onkel Jinjiao? Warum kommst du nicht ins Haus?«
    Die Stimme vor dem Hoftor nahm einen weicheren Klang an: »Komm heraus, Gao Yang. Es gibt etwas Dringendes zu besprechen.«
    Gao Yang wollte nicht unhöflich wirken. Er wandte den Kopf nach hinten und mahnte: »Faß nichts an, Xinghua, du verbrennst dich sonst.« Am Eßtisch saß seine achtjährige Tochter, die auf beiden Augen blind war. Xinghua saß stocksteif da und wirkte mit ihren weit geöffneten, ausdruckslosen schwarzen Augen wie aus Ebenholz geschnitzt.
    Er trat auf den Hof hinaus, und der Boden brannte unter seinen Fußsohlen. In der erhitzten Luft fühlten sich seine Augen wie zugeklebt an. Die Sonne wärmte seinen Rücken. Er rieb sich den Staub von der Brust und hörte aus dem Schlafzimmer das Geschrei seines neugeborenen Kindes. Die Frau murmelte dem Kleinen etwas zu. Endlich ein Sohn, dachte er befriedigt. Der Südwestwind trug ihm den bitteren Geruch des reifen Weizens zu. Es war Zeit, ihn zu schneiden. Ihm wurde schwer ums Herz, und eine plötzliche Kälte kroch ihm über den Rücken. Am liebsten wäre er stehengeblieben, aber seine Füße trugen ihn immer weiter vorwärts. Der scharfe Geruch des Knoblauchs trieb ihm Tränen in die Augen. Er hob den nackten Arm, um sich die Augen zu wischen. Er wollte nicht weinen.
    Er stieß die Tür weit auf und fragte: »Onkel, was gibt es … Aua!«
    Grüne Streifen flimmerten vor seinen Augen. Sie tanzten in der Luft wie unzählige frische Knoblauchsprossen. Ein heftiger Schlag traf seinen rechten Knöchel, so dumpf und stark, daß ihm war, als zerrisse es ihm das Herz im Leibe. Er schloß die Augen und stieß einen Schreckensruf aus. Er fiel nach rechts, und in diesem Augenblick traf ein zweiter Schlag seine linke Kniekehle. Er schrie auf, krümmte sich zusammen und kniete plötzlich auf den Steinstufen vor seiner Hoftür. Er versuchte die Augen aufzureißen, aber die Lider waren schwer, und der scharfe Geruch des Knoblauchs biß so schmerzhaft in seine Augäpfel, daß die Tränen herausschossen. Er wollte sich die Augen wischen, da legten sich zwei eiskalte Klammern um seine Handgelenke. Ein knackendes Geräusch bohrte sich ihm wie eine Stahlnadel ins Gehirn.
    Als er aufblickte, sah er verschwommen zwei Polizisten. »Ich weine nicht«, dachte er. Es waren hochgewachsene Männer in weißen Jacken und grünen Hosen mit roten Streifen an den Beinnähten. Er hatte ihre Hüften und Knie in Augenhöhe vor sich. Die grünen Oberschenkel waren voll heller Spritzer, und die weißen Jackenschöße hatten schwarze Flecken. An breiten braunen Kunstledergürteln hingen Pistolen und schwarze Knüppel. Die Koppelschlösser glänzten metallisch. Er hob den Kopf und blickte in zwei kalte, ausdruckslose Gesichter. Bevor er den Mund aufmachen konnte, schwenkte der linke Polizist ein weißes Papier mit roten Stempeln und sagte leicht stotternd: »D-d-du bist festgenommen.«
    Jetzt fielen ihm die blitzenden Stahlreife auf, die seine sonnenverbrannten Handgelenke umklammerten. Zwischen den beiden Metallringen hing eine schwere, hell schimmernde Kette. Als er die Hände hob, schwang die
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