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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
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mit einem fetten Erbe gesegneten Sohn, Schwiegersohn, Enkel oder Pflegedienstleiter zugrunde
     gegangen war. Pervers.
    Bisher war ich durch kleinste Ritzen gekrochen, aber jetzt wollte ich es wirklich wissen: Ich nahm Aufstellung vor einer Wand,
     die zwei Büros trennte, konzentrierte mich und – zischte hindurch. Einfach so. Ich hatte noch nicht einmal den Eindruck, meine
     Frisur ordnen zu müssen. Natürlich hatte ich keine Frisur mehr, aber Sie verstehen, was ich sagen will, oder? Ich machte den
     gleichen Weg retour, und das Einzige, was dabei unangenehm ist, hat mit der visuellen Wahrnehmung zu tun. Also einfach gesagt:
     »Was guckst du?« Und genau das ist das Problem: »Nix guckst du.« Ich kann nämlich nicht sehen, was hinter einer Wand ist,
     durch die ich durch will. Es ist also eine Art Anlauf nehmen, mit Volldampf durch und dann bist du schon da. Wo du vielleicht
     gar nicht hin wolltest! Vorsichtig durch eine Tür zu schweben kam mir irgendwie sicherer vor. Nicht so abrupt.
    Ich hatte keine Lust mehr, allein zu spielen, und ging auf die Suche nach Martin, den ich in der Teeküche fand. In seiner
     Tasse befand sich ein dünner Tee, das Papierschnippelchen des Beutels hing über den Rand und verdeckte gnädig den aufgedruckten
     Spruch eines Zen-Meisters.
    |33| Ich fragte mich spontan, welch grausames Schicksal mich gerade an diesen Mann gebunden hatte, denn, das hatte ich gleich beim
     Einschweben in die Teeküche festgestellt, nur von Martin empfing ich Gedankensignale. Dabei hätte ich jede Form von Signalen
     von der zweiten anwesenden Person vorgezogen. Die war eine Sie und granatengeil. Lange Beine in einer abgewetzten Jeans, ein
     enger Rollkragenpullover, ein großer, lachender Mund, dunkle Augen und eine schwarze, lockige Mähne, die sie nachlässig mit
     einem Gummiband im Nacken zusammengebunden hatte. Der weiße Kittel war ein bisschen affig, aber egal – hier stand eine echte
     Traumfrau. Mit dem pummeligen, Zen-Tee-schlürfenden Martin in der Teeküche. Hatte die nichts Besseres zu tun?
    Martin brachte es tatsächlich fertig, ihr nicht ständig auf die wohlgeformten Hupen, sondern in die Augen zu schauen. Wie
     machte er das? Ich forschte in seinem Hirn nach der in fetten, schwarzen Großbuchstaben gedruckten Aufforderung: SCHAU IHR
     IN DIE AUGEN!, aber da war nichts. Er schaffte es einfach so. War der Typ schwul?
    »Wie war dein Wochenende, Martin?«, fragte die Holde.
    »Toll«, sagte Martin. »Und erfolgreich. Ich habe vier neue Karten gefunden.«
    »Neue neue Karten oder neue alte Karten?«, fragte die Traumfrau.
    »Alte«, entgegnete Martin und grinste blöd.
    Was sabbelten die beiden da für einen Schwachsinn? Neue alte neue Karten?!?
    »Und dein Wochenende, Katrin?«, fragte Martin.
    »Anstrengend«, erwiderte sie, und ich wollte gerade anfangen, mir vorzustellen, wie ein anstrengendes Wochenende |34| mit dieser Frau aussah, aber da sprach sie schon weiter. »Ich musste zusammen mit meinem Bruder das Haus meiner verstorbenen
     Eltern ausräumen.«
    »Hat die keinen Lover?«, fragte ich Martin.
    Martin murmelte gerade etwas, das wie eine Entschuldigung und eine Beileidsbezeugung klang, aber meine Zwischenfrage brachte
     ihn aus dem Konzept. Er stockte mitten im Satz und nippte schnell an seiner Tasse.
    »Leg sie flach«, forderte ich ihn auf. »Ne Runde zipfeln hilft besser gegen Kummer als Beileidspalaver.«
    Er prustete erschreckt in seinen Tee, der überschwappte und ihm auf Pullover und Hose lief.
    Katrin hatte sich reaktionsschnell umgedreht und nach einem Handtuch gegriffen. JA!, dachte ich begeistert. Jetzt reibt sie
     Martin die Hose trocken. Das hatte er wohl auch kommen sehen, aber anstatt genüsslich die Augen zu schließen und den Dingen
     ihren Lauf zu lassen, nahm er ihr das Tuch aus der Hand und versuchte selbst mit hektischen Bewegungen, seine Kutte trocken
     zu wedeln. Wie kann man nur so blöd sein? Diese Gelegenheit, sich von flinken, kleinen weiblichen Händen mal so richtig abreiben
     zu lassen, lässt man sich doch nicht entgehen! An was für einen Problemo war ich hier nur geraten?
    »Geht’s dir nicht gut?«, fragte Katrin.
    Die Frage hatte sich mir auch schon gestellt, dabei hatte ich allerdings mehr an die geistige und hormonelle Gesundheit meines
     irdischen Freundes gedacht, aber sie fragte sicherlich, weil Martin um die Nase blass, auf den Wangen aber zart gerötet und
     recht hektisch war.
    »Doch, doch«, antwortete Martin viel zu schnell. »Alles
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