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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
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den Zug der lieben Englein aufspringen
     soll, damit sie mich vor die Himmelspforte fahren, wo Petrus mir die Tür aufmacht und fragt, ob ich auch immer schön artig
     war. Was hätte ich da antworten sollen? Jedenfalls wusste ich selbst nicht, warum ich hier herumhing und nicht dort war, wo |38| die anderen Seelen auch waren. Wenn es so einen Ort überhaupt gab. Ein Seelenheim, ein Geister-Haus, eine Art himmlisches
     Halloween-Hotel. Also konnte ich dem großen Durchblickologen Martin auch nichts erklären, da hatte er halt Pech gehabt.
    »Glaubst du an Gott?«, fragte Martin.
    »An welchen?«, fragte ich, weil ich mir diese Antwort früher irgendwann angewöhnt hatte und sie immer noch cool fand. Zumal
     ich aus den oben genannten Gründen bisher keinen Anlass sah, sie zu ändern. Wenn es einen Häuptling in der ganzen Weltbude
     gab, hatte er sich mir jedenfalls noch nicht vorgestellt.
    Martin sagte jetzt zwar nichts mehr, aber seine Gedanken ordneten sich langsam zu einer ernsthaften Überlegung. Wie, so fragte
     er sich, werde ich den Kerl wieder los? Die Frage war durchaus berechtigt. Stellen Sie sich vor, Sie sind jeden Tag von ungefähr
     dreißig Leichen umgeben. Das ist Ihr Job und Sie haben sich daran gewöhnt. Ist ja eigentlich auch wirklich nicht so schlimm,
     denn die Toten schwaddeln Sie wenigstens nicht dauernd mit irgendwelchen lächerlichen Zipperlein voll wie lebende Patienten
     ihren Hausarzt. Also eigentlich alles ganz easy. Bis zu dem Tag, an dem plötzlich eine Leiche auftaucht, die nicht ganz so
     tot ist, wie sie sein sollte. Das allein ist für einen Naturwissenschaftler sicher schon eine schwere Prüfung, aber die Vorstellung,
     dass diese eine umherirrende Seele vielleicht erst der Anfang einer neuartigen Entwicklung ist, kann selbst härteren Kerlen,
     als Martin einer ist, den Angstschweiß unter die Achseln treiben. Die Vision von Legionen ihn umwabernder Geister blitzte
     kurz in seinem Hirn auf, und er fing tatsächlich an zu zittern.
    |39| Natürlich erkenne ich heute im Rückblick, dass Martins Besorgnis ihre Berechtigung hatte, dass er mit der Situation einfach
     überfordert war und dass es ganz natürlich ist, sich zu fragen, wie man den Geist, den man ja noch nicht einmal gerufen hat,
     wieder los wird. In dem Moment, in dem wir aber in so trauter Zweisamkeit an meinem Kühlfach standen, fand ich seine Überlegungen
     einfach nur widerlich. Ich war tot, ich hatte ein Problem, und er fragte sich, wie er mich am einfachsten wieder loswürde.
     Ekelhaft, oder?
    »Glaubst du, dass deine Seele Frieden finden kann, wenn wir den Mord an dir aufklären?«, formulierte er vorsichtig.
    Ha! Glaubte der wirklich, dass ich mich so leicht hinter’s Licht führen lasse? Ob meine Seele Frieden fände, ging dem doch
     völlig am Rüssel vorbei. Er wollte, dass meine Seele verschwindet, ob nun in den Himmel oder die Hölle war egal, Hauptsache
     weg. So dachte ich zumindest damals.
    »Ich denke ja«, sagte ich, denn wenn er hoffte, mich durch die Aufklärung des Verbrechens wieder loszuwerden, dann würde er
     sich wohl Mühe geben, den Mörder zu finden und meinen Ruf wiederherzustellen. Meinen Ruf als Mensch, der wichtig genug war,
     dass man ihn umbrachte. Der nicht einfach aus purer Dummheit von der Brücke plumpst. Ein Märtyrer, ein Kriegsopfer in der
     harten Kölner Unterwelt.
    Martin seufzte. »Okay, dann berichte mir bitte den Hergang der Tat, die Vorgeschichte, einfach alles, was du weißt.«
    Jetzt hatte ich ein Problem, denn auch wenn ich ganz gern mal ordentlich pegeln gehe, sind drei Komma sieben Promille selbst
     für mich relativ viel, und an manche Details hatte ich nur noch verschwommene Erinnerungen. |40| Aber ich berichtete Martin von meinem letzten Tag so ausführlich wie möglich.
    »Gesehen hast du niemanden in der Bahn oder auf der Überführung?«, fragte Martin.
    »Klar habe ich da Leute gesehen«, sagte ich. »Aber keinen, den ich kannte.«
    »Und den, der dich gestoßen hat, hast du auch nicht gesehen? Auch nicht –« Martin zögerte. »Auch nicht nach dem Sturz?«
    »Du meinst, als ich schon tot im Schnee lag und meine Seele langsam anfing zu schweben, da hätte ich den Mörder doch von meinem
     Beobachtungsposten aus gut sehen müssen?«
    Er nickte.
    »Nö«, erwiderte ich nach einem Augenblick Nachdenken. »Vielleicht habe ich ihn gesehen, aber nicht erkannt. Man wird nicht
     allwissend, nur weil man tot ist.«
    Schade, dachte Martin, und da musste ich ihm recht
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