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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
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meinte er es
     ernst.
    Martin schwankte, dann griff er sich an die linke Brust und klappte zusammen. Ich war sprachlos, fassungslos, entsetzt. Das
     hatte selbst ich nicht erwartet. Ich hatte Olli noch nie mit einer Waffe gesehen. Autoschieber sind grundsätzlich eher friedliche
     Kriminelle.
    |250| Wie durch einen dichten Nebel sah ich, wie Olli den Koffer mit dem Geld an sich nahm und sich zum Gehen wandte. Dann blieb
     er stehen, streifte einen dicken Siegelring mit einem auffallend schwarzen Stein von seinem kleinen Finger, steckte ihn in
     Martins Hosentasche und verschwand durch das verfallene Gebäude, aus dem er eben aufgetaucht war.
    Zurück blieb Martin, mitten in der Nacht, an einem dubiosen Ort, mit einem auffälligen Ring, der ihm nicht gehörte, und einer
     lebensbedrohlichen Verletzung.
    Ich schwebte ganz dicht über Martin, versuchte, seine Gedanken zu erfassen und sah mich plötzlich mit einer körperlosen Seele
     konfrontiert, die auf gleicher Höhe mit mir über Martin schwebte. Martin!
    »Weg mit dir«, schrie ich. »Geh zurück in den Körper!«
    »Aber hier ist es so ruhig und friedvoll«, sagte Martins Geist. »Dort unten sind Schmerzen und Leid.«
    »Quatsch keine Opern, geh zurück«, brüllte ich ihn an. »Das bisschen Schmerz wirst du ja wohl ertragen können.«
    Während weiter hinten auf dem Gelände ein dicker Motor angeworfen wurde und Olli mitsamt der Kohle verschwand, belauerten
     Martins Seele und ich uns wie zwei Streithähne, obwohl eigentlich nur ich aggressiv war. Martins Seele war salbungsvoll und
     friedfertig. Ich weiß nicht, wie das Kräftemessen ausgegangen wäre, wenn nicht in diesem Moment die Stimme aus dem Megaphon
     gekommen wäre.
    »Sie sind umstellt, jeder Widerstand ist zwecklos!«
    Sind die Penner denn mit völliger Blindheit geschlagen?, dachte ich. Da liegt einer im Dreck, der verblutet hier langsam,
     aber sicher, und die Idioten reden von Widerstand! |251| »Der ist hin«, sagte einer der Polizisten, als er mit gezogener Knarre näher kam.
    »Nix hin«, brüllte ich, so laut ich konnte. »Her mit dem Notarzt!«
    Der war schon unterwegs, aber die zwei Minuten bis zu seiner Ankunft erschienen mir wie eine Ewigkeit. Die Retter hatten gleich
     ein Beutelchen mit Ersatzblut dabei, das sie Martin einflößten, und das Seelchen ließ sich dazu überreden, wenigstens bei
     seinem Körper zu bleiben und nicht den direkten Weg in den Himmel zu nehmen. Die Bullen warteten, bis der halbtote Martin
     weggebracht worden war. Die Spurensicherung kam, und das ganze Trara, das noch Stunden dauern sollte, begann.
    Ich erfuhr aus den Gesprächen der Polizisten, dass ein traumatisierter Hundehalter die Bullen zu dem Gelände geschickt hatte,
     auf dem er unverhofft Zeuge einer Messerstecherei geworden war. Martin wurde unter polizeilicher Bewachung und mit einer lebensgefährlichen
     Verletzung ins Krankenhaus gebracht, in dem eine Notoperation seine Einlieferung als Leiche in den Sektionssaal hoffentlich
     noch verhindern konnte. In seiner Tasche steckte ein geheimnisvoller Ring, den Olli bestimmt nicht als Andenken an einen netten
     Abend dort deponiert hatte.
    Ich machte mir schwere Vorwürfe. Nur wegen mir war Martin in diese Situation geraten, nur wegen mir hatte er seine Freundin
     und seinen guten Ruf verloren und vielleicht sogar sein Leben. Das durfte nicht sein!
    Für sein Leben konnte ich nichts tun. Für seine Freundin vielleicht auch nicht, aber ich konnte wenigstens versuchen, seinen
     Ruf zu retten. Ich war immerhin außer Martin der Einzige auf der Seite der Guten, der die ganze |252| Geschichte kannte. Und die musste ich irgendwie erzählen, denn Martin konnte nicht sprechen, und selbst wenn, hätte man ihm
     kaum geglaubt. Die Frage war nur, wie und wem ich die Geschehnisse der vergangenen zwei Wochen erklären sollte. Außer Martin
     hatte ich noch niemanden gefunden, der mich hören konnte. Aber ich würde mir etwas einfallen lassen müssen, das war klar.
     Das war ich ihm schuldig.
     
    Ich düste also zum Institut, denn ich hatte die Hoffnung, dass man dort von den Vorkommnissen gehört hatte und ich Neuigkeiten
     erfahren würde. Es dauerte allerdings noch einige Stunden, bis Katrin völlig aufgelöst in die Teeküche kam und rief: »Martin
     war in eine Messerstecherei verwickelt und schwebt in Lebensgefahr. Die Polizei hat ihn unter Beobachtung gestellt.«
    Immerhin war er nicht tot, damit hatte ich schon meine erste gute Nachricht an diesem Tag. Zurzeit
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