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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
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– also das Ermittlungsteam, zu dem ich
     gehöre – hatten gedacht, dass es für Sie etwas diskreter ist, wenn ich schnell hereinspringe. Sie liegen für mich auf dem
     Weg, wissen Sie.«
    Er zog sein Handy aus der Tasche.
    »Äh, warten Sie mal.«
    Sie verschwand in dem hinter dem Tresen liegenden Büro und erschien zwei Minuten später wieder mit einigen frisch ausgedruckten
     DIN-A4-Blättern.
    »Hier, bitte.«
    Martin sah die Papiere kurz durch, steckte sie ein, nickte ihr zu und ging zurück zur Ente, die um die Ecke geparkt war. Mit
     so einem Ding kann man unmöglich vor einem Konferenzzentrum halten und NICHT auffallen.
    Wir setzten uns in die Ente und gingen die Zettel durch. Zu welchen Themen Konferenzen abgehalten werden ist wirklich haarsträubend.
     »Die Verweiblichung der Erlebniswelt von Kindergarten- und Schulkindern« war ein Symposion mit Podiumsgespräch von irgendeinem
     Erzieherinnenbund.
    Wir vermuteten weder Dr. Seltsam noch
il papa
bei den Erzieherinnen. Also weiter im Text.
    »Kongress der Sprachmittler in ihrem Selbstverständnis zwischen Parteinahme und Lebensrisiko – Traduttore |232| gleich Traitore«. Hm. Übersetzer, oder? Vielleicht Dolmetscher? Wir waren uns weder sicher noch einig, aber einigermaßen verhalten
     in unserer Erwartung, einen unserer gesuchten Freunde im illustren Kreis der Mehrsprachigen zu finden. Obwohl
il papa
doch sehr italienisch klang … Wir beschlossen, erst einmal weiterzusehen.
    »Standort Deutschland – Geht die Globalisierung an uns vorbei?« Oho, das klang interessant. Ob unser Stahlunternehmer Dr.
     Seltsam sich für die Globalisierung interessierte? Martin malte ein Kreuzchen. Wahrlich ein systematischer Mensch. Wir gingen
     die Übersicht weiter durch.
    Das »Jahrestreffen der Redenschreiber« inspirierte uns nicht, und die »Liga für die Christliche Lebensführung als konsquentes
     Handeln in einer vom Werteverfall geprägten Gesellschaft« nötigte Martin ein Schnauben ab.
    »Ich betrachte mich schon als Christ«, sagte er, »und zahle fleißig meine Kirchensteuern. Aber wenn konsequentes Handeln heißt,
     auf Transplantationen oder notwendige Operationen zu verzichten, weil das den Menschen in seiner Unverletzlichkeit beschädigt,
     und dann auch noch die Rechtsmedizin verbieten zu wollen, um die Totenruhe nicht zu stören …«
    Er brach mitten im Satz ab, was sonst gar nicht seine Art ist, und stierte auf das Papier, das er so reglos hielt, als spielte
     er Mikado und hätte Angst zu verlieren, sobald er sich bewegt.
    »Bist du zur Salzsäule erstarrt, wo wir gerade so heilig sind?«, fragte ich, stolz darauf, dass ich die eine von zwei Geschichten,
     die ich aus der Bibel kenne, anbringen konnte. Die andere ist die mit der Arche. Hat mir immer |233| gut gefallen. Von jeder Art zwei und dann zum Schaukeln des Seegangs poppen, bis die Sonne aufgeht. Nette Vorstellung.
    »Heilig«, murmelte Martin. Ob er sich in einer Art religiöser Trance befand? Oder dachte er einfach nur intensiv nach? Ich
     konnte keine übernatürlichen Wellen ausmachen, also räusperte ich mich laut und vernehmlich.
    Keine Reaktion.
    »Wat nu?«, fragte ich nach einer Weile in der Hoffnung, dass Worte mehr ausrichten als Räuspern.
    »Dr. Heilig«, murmelte Martin.
    »Nein, Dr. Seltsam«, korrigierte ich. Brachte er jetzt schon alles durcheinander?
    »Nein«, widersprach er. »Es gibt einen Abgeordneten, der Dr. Eilig heißt.«
    »Aha«, sagte ich. Aktives Zuhören. Hatten wir schon mal, erinnern Sie sich?
    »Er ist gegen Transplantationen und neuerdings auch gegen Obduktionen«, sagte Martin.
    »Habe ich mitbekommen«, sagte ich, denn ich erinnerte mich undeutlich an eine derartige Diskussion in der Teeküche des Instituts.
    »Der Kerl ist päpstlicher als der Papst«, sagte Martin.
    Blöder Spruch, hatte mir noch nie gefallen. Außerdem verstand ich nicht, warum Martin gerade an dieser Stelle eine bedeutungsschwere
     Pause machte. Manchmal ist es ziemlich doof, ungebildet zu sein.
    »Was willst du mir damit sagen?«, fragte ich also leicht genervt.
    »
Il papa
«, sagte Martin. »Das ist Italienisch und heißt Papst.«
    |234| »Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass der Papst da war?«, fragte ich.
    »Nein. Aber Dr. Heilig.«
    »Na und?«, fragte ich. Ich konnte zwar verstehen, dass Martin sich über diesen Typen aufregte, der einen gesamten Berufsstand
     infrage stellte, aber wir befanden uns mitten in einer Mordermittlung, da hatten wir doch wohl Wichtigeres zu
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