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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
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»brüll mich bitte nicht so an.«
    »Bleib geschmeidig«, sagte ich und bemühte mich um einen coolen Tonfall. »Sag mir doch mal ganz genau, welchen Spruch die
     Bullen auf meine Kiste meißeln.«
    Ich spürte wieder diese Fragezeichen auftauchen wie Blasen in der Badewanne, wenn man einen fahren lässt, aber Martin hatte
     schon so ungefähr verstanden, was ich von ihm wollte.
    »Die polizeilichen Ermittlungen haben keinen Verdacht auf Fremdeinwirkung ergeben, die Obduktion ebenfalls nicht. In Verbindung
     mit dem Alkoholisierungsgrad, dem Schnee auf der Treppe und dem schlechten Zustand des Geländers ergibt sich als Todesursache
     ein Unfall mit Todesfolge. Allerdings wird es wohl eine Untersuchung wegen des Geländers geben.«
    »Das ist Bullenshit«, sagte ich klar und deutlich.
    |30| Martin zuckte zusammen.
    »Du musst denen sagen, dass das nicht stimmt«, forderte ich.
    Ich hielt diese Forderung für logisch und ganz einfach. Telefon nehmen, Bullen anrufen, Bescheid sagen, fertig. Aber natürlich
     ist bei Akademikern nichts einfach und schon gar nichts unkompliziert.
    »Auf welcher Grundlage soll ich solch eine Behauptung aufstellen?«, fragte Martin.
    Die Frage brachte mich gefährlich nahe an den Rand meiner Geduld. Da gab es den ultimativ besten Zeugen eines Mordes, nämlich
     das Opfer höchstselbst, und der Mediziner fragt, auf welcher Grundlage er sein Wissen um den Tathergang verbreiten solle.
     Ist es zu fassen?
    »Auf Grundlage meiner Aussage«, formulierte ich vorsichtig und mit Bedacht, um nicht in Obszönitäten und Beleidigungen abzurutschen,
     denn ich wollte mir den guten Mann ja gewogen halten. Mit welchen Problemen man sich als Toter herumschlagen muss!
    »Das geht nicht«, wandte Martin ein. »Das wird mir niemand glauben.« Und nach einer kurzen Pause: »Ich glaube es ja selbst
     nicht.«
    Er griff sich wieder an die Stirn, fuhr dann mit der flachen Hand über seine korrekt gestutzte Frisur, mit der er aussah wie
     ein salbungsvoller Pädagoge in einem Kinderfilm aus den Sechzigerjahren, und verließ fluchtartig den Kühlraum. Ich ließ ihm
     einen Vorsprung und schlenderte, wenn man das langsame Dahingleiten ohne Hast und Eile so nennen mag, hinter ihm her.
    Zunächst hielt ich mich eng an Martin, nutzte die Türen, die er öffnete, um selbst hindurchzuschlüpfen, aber damit |31| war ich speedmäßig schwer von ihm abhängig. Also blieb ich weiter zurück und probierte meine Beweglichkeit aus. Durch schmalste
     Türspalte kam ich problemlos hindurch, sogar durch ein Schlüsselloch konnte ich zischen. Unter der Decke, knapp über dem Fußboden
     und sogar hinter Schränken streifte ich herum und stellte fest, dass nur der Blick von oben wirklich interessant ist. Hinter
     einem Schrank sieht man nicht viel.
    Ich wurde mutiger und verließ das Kellergeschoss. Im Treppenhaus schwebte ich ein Stockwerk von Stufe zu Stufe, dann machte
     ich mir meinen eigenen Aufzug, indem ich dem Zickzack der Treppe nicht weiter folgte, sondern in der Mitte einfach senkrecht
     in die Höhe schoss. Als mir auch das zu langweilig wurde, betrat ich die oberste Etage und sah mich dort um. Auf der Etage
     befanden sich – wie im Rest des Gebäudes auch, aber das wusste ich ja damals noch nicht – Büros und Labore. Männer und Frauen,
     viele davon in ihren Onkel-Doktor-Kittelchen, saßen an Labor und Schreibtischen, standen in Teeküchen oder hockten vor irgendwelchen
     Apparaturen herum. Sie benahmen sich wie normale Menschen, plauderten, telefonierten, tranken Kaffee und Tee aus diesen unsäglichen
     Tassen in Schweinetrog-Größe mit gewollt witzigen Aufschriften, Horoskopen oder eigenen Babyfotos drauf. Eben die typisch
     deutsche Bürokultur, die jede Ufobesatzung, die jemals hier landen sollte, sofort zur vollständigen Vernichtung der menschlichen
     Rasse veranlassen wird. Und man kann es den schleimigen Viechern aus den unendlichen Weiten des Weltraums nicht einmal verübeln!
    Die meisten Leute sahen, abgesehen von ihren blödsinnigen Tassen und den Kitteln, wie ganz normale Menschen |32| aus. Man wäre also nicht notwendigerweise auf die Idee gekommen, dass alle diese Typen ihre Tage damit verbrachten, Leichen
     aufzuschlitzen, ihnen Herz, Leber, Nieren und sonstiges Zubehör zu entfernen, nachzusehen, was die Toten zuletzt gegessen
     und wann sie zuletzt gevögelt hatten und ob es vielleicht irgendwo einen Hinweis darauf gab, dass die Omi nicht an ihrem gesegneten
     Alter, sondern am hoffentlich bald
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