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Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
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Schutzpolizisten, stellte seine Tasche ab und überprüfte meinen Körper nach Lebenszeichen. »Hallo Martin«, antwortete
     Rolf, der Polizist.
    »Wie lange liegt er denn schon hier?«, fragte Duffie in die gaffende Menge, die jetzt hinter dem inzwischen angebrachten rot-weißen
     Absperrband mit den frierenden Füßen scharrte.
    »Siebzehn Minuten«, antwortete der eifrige Held mit der Rettungserfahrung. Klugscheißer.
    »Unfall oder Nachhilfe?«, fragte Duffie.
    »Unklar«, entgegnete ein Typ in Zivil, der die Anweisungen gegeben hatte, wo die rot-weißen Bänder angebracht wurden, und
     der überhaupt den Eindruck machte, hier das Sagen zu haben.
    Polizisten wuselten herum, machten tausend Fotos von |21| mir, von der Brücke, dem Geländer und der Flasche, die mir aus der Hand gefallen war. Sie gingen den Weg ab, den ich gekommen
     war, maßen Längen und Winkel und taten alle furchtbar beschäftigt. Duffie, also Martin, kniete sich neben mich in den leise
     rieselnden Schnee, betrachtete mich von oben bis unten, zum Teil sogar durch eine Lupe, die er aus seinem großen Koffer holte.
     Er suchte jeden Zentimeter des Kopfes ab, betrachtete besonders aufmerksam die Stelle, an der der Hinterkopf auf die Holzbohlen
     gekracht war, kroch mit dem Gesicht fast auf dem Boden herum, als er versuchte, so viel wie möglich von der linken Gesichtshälfte
     zu sehen, auf der ich lag, bevor er mich endlich umdrehte. Dann lief die Untersuchung noch mal auf der jetzt sichtbaren Vorderseite
     ab, wieder mit Lupe, und endlich, endlich hatte er genug. Er legte das Glotzglas zurück in seinen Koffer, sah sich suchend
     um, entdeckte, was er gesucht hatte und machte ein Zeichen mit der linken Hand. Zwei Männer kamen, steckten meinen Körper
     in eine Horizontalsänfte und schleppten mich weg.
     
    Ich war, wie Sie sich wohl denken können, komplett durch den Wind. Die Nahtod-Surfer hatten nie davon gesprochen, dass die
     ganze Geschichte so lange dauert. Dass Leute kommen, ihren Tod feststellen, dass Rechtsmediziner sie wie Insekten durch die
     Lupe anstarren, dass sie in Särge gesteckt und abtransportiert werden.
    Abtransportiert – wohin?, fragte ich mich plötzlich und fühlte Panik aufkommen. Wie zum Teufel sollte ich zurück in meinen
     Körper finden, wenn ich nicht wusste, wo er war? Sie können sich meinen Schreck vorstellen. Ich sauste also hinter den zwei
     Gestalten her, die den Sarg mit meinem |22| Körper gerade in ein Auto luden. Zum Glück schlitterte ich, im Gegensatz zu den Sargträgern, nicht über die schneeglatte Straße,
     sondern zischte einfach so durch die Luft und zack ins Auto rein. Auch das hätte mich vielleicht wieder stutzig machen müssen,
     aber das Thema hatten wir ja eben schon. Zum Stutzen blieb mir keine Zeit. Ich war einfach nur froh, dass ich bei meinem Körper
     war, als der Wagen auch schon anfuhr.
    Ich habe nicht aus dem Fenster geschaut, es interessierte mich nicht wirklich, wohin sie mich brachten, solange ich nur bei
     meinem Körper war. Irgendwann ging es eine Rampe hinunter, dann wurde die Tür des Autos geöffnet, ein langer Gang erwartete
     uns und dann eine Tür. Eine Edelstahlschublade wurde aufgezogen, mein Körper hineingelegt, ich natürlich nix wie hinterher,
     dann ging die Schublade zu und wir lagen im Dunkeln, mein Körper und ich.
     
    Wieder fehlte mir aufgrund meiner Verwirrung und vielleicht als Nachwirkung des Alkohols – wobei ich nicht wusste, ob man
     als Nahtod-Geist besoffen sein konnte – das Zeitgefühl, aber irgendwann öffnete sich die Schublade, mein Körper wurde auf
     eine Rollbahre gelegt, in einen gekachelten Raum gefahren, dort auf einen Edelstahltisch mit einem Ablaufsieb am Fußende gelegt,
     und dann trat Duffie-Martin zusammen mit einem anderen Mann an den Tisch. Der andere hielt ein Diktiergerät in der Hand und
     sprach die Einleitung. »Obduktion eines männlichen Leichnams im Auftrag der Staatsanwaltschaft Köln. Identität wurde polizeilich
     festgestellt als Sascha Lerchenberg, Alter: 24, Körpergröße 173 cm, Körpergewicht 69 kg.«
    Ich war immer noch völlig durcheinander, aber das war |23| auch durchaus angebracht, denn was danach kam, war wirklich grauenvoll. Meine anfängliche Verwirrung steigerte sich zu einer
     ausgewachsenen Panik, als ich sah, was Martin in der Hand hielt: Ein blitzendes, verflucht scharf aussehendes Skalpell. Er
     setzte es an und schlitzte mir den gesamten Oberkörper auf, vom Kinn abwärts in einem geraden
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