Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kühlfach vier

Titel: Kühlfach vier
Autoren: Jutta Profijt
Vom Netzwerk:
Schnee. Auch das noch. Ich hasse Schnee. Wer schnelle Autos
     liebt, muss Schnee hassen. Ich stieg an einem belebten Platz mit einem Kiosk aus, legte das Sockengeld in alkoholischen Getränken
     an, nahm eine Bahn Richtung Innenstadt und fing schon während |18| der Fahrt an, mich volllaufen zu lassen. Irgendwo stieg ich aus, natürlich hatte ich das große Glück, mitten in einer Straßenbaustelle
     zu landen. Hatte gar nicht gewusst, dass in unserem Land noch in Infrastruktur investiert wird. Ich kraxelte provisorische
     Holztreppen hoch, drängelte mich mit anderen Fahrgästen durch Engstellen, verlief mich und nahm irgendwann eine Überführung,
     an der ein Schild »Richtung Innenstadt« hing. Mein Sichtfeld hatte sich inzwischen dramatisch verkleinert, die Geräusche aus
     der Umgebung erreichten meine Horchbretter wie aus weiter Ferne, aber immerhin machte ich mir keine allzu großen Sorgen mehr
     wegen meiner Schulden.
    Den Stoß in den Rücken spürte ich trotz Vollrausch. Er erwischte mich in einem denkbar ungünstigen Moment. Vor mir lagen zwei
     abwärtsführende Stufen und ein provisorisches Geländer. Mein Schritt wurde durch den Stoß etwas weiter als geplant, dadurch
     verpasste ich die erste Stufe. Die zweite war schneebedeckt, deshalb glatt, und so rutschte mein profilloser Schuh über die
     Kante. Das dünne Brett, das als Geländer dienen sollte, hatte ungefähr so viel Halt wie ein Abschleppseil aus Hosengummi.
     Der Nagel, der an der linken Seite die Verbindung zum Pfeiler herstellen sollte, gab sofort und ohne sich zu zieren nach,
     der rechte folgte kurz darauf. Meine Beobachtungsgabe war in diesen Sekunden so unbeschreiblich gut wie nie zuvor, und vielleicht
     hätte das allein mich schon stutzig machen sollen, aber dazu hatte ich gar keine Zeit. Ich rutschte mit den Füßen voran durch
     das Geländer, kippte nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf unglaublich hart auf dem Holz der Brücke auf, bevor ich komplett
     absemmelte. Meinen Sturz in die Tiefe erlebte ich in Slow Motion. Um |19| irgendeine Achse kreiselnd donnerte ich auf den sechs Meter tiefer liegenden Plattenweg. Das Geräusch, das mein Körper und
     vor allem meine Denkschüssel beim Aufprall machte, erschreckte sogar die Leute, die meinen Sturz gar nicht hatten sehen können,
     weil sie mir den Rücken zuwandten. Ich konnte, da ich auf dem Bauch, aber mit dem Gesicht zur Seite lag, noch kurz einen Blick
     auf Gesichter erhaschen, die sich mir zuwandten, dann sah ich nichts mehr.
    Die Dunkelheit währte nur einen kurzen Moment, denn plötzlich, nach schätzungsweise zehn Sekunden, konnte ich die ganze Szenerie
     sehr klar beobachten – und zwar von oben. Nun haben wir ja alle schon zur Genüge diese Nahtod-Gespenster gesehen, die von
     Talkshow zu Talkshow geistern, um von ihren geheimnisvollen Erfahrungen zu berichten. Sie betrachten ihren Körper von außen,
     dann kommt der Tunnel und das Licht, blablabla. Ich dachte mir also noch nicht viel dabei, als ich über meiner verrenkt herumliegenden
     äußeren Hülle schwebte, und wartete auf den Tunnel, das Licht und darauf, endlich wieder in meinem eigenen Körper aufzuwachen.
     So haben diese wiedergeborenen Fernseh-Fuzzis das schließlich immer beschrieben.
    Ich hing also so herum und wartete. Beobachtete, wie Leute meinen Körper anstießen, wie jemand sich wichtig machte, etwas
     von Rettungssanitäter faselte, mir ans Handgelenk und die Halsschlagader fasste und dann mit wichtigem Gesichtsausdruck dem
     Mann, der die Polizei informierte, das Handy aus der Hand nahm und hineinsagte, der Verunfallte sei tot.
    Moment mal, dachte ich mir, jetzt übertreibt der Typ |20| aber. Er darf sich gern wichtig machen, wenn er meint, dass er die Weiber damit beeindruckt, aber irgendwo muss doch bitteschön
     die Grenze sein. Zumal seine theatralische Aufführung noch nicht einmal dazu führte, dass die holde Weiblichkeit sich ihm
     schluchzend an den Hals warf. Die Umstehenden taten einfach das, was Umstehende so tun: Sie standen umher und glotzten.
     
    Ich will Sie nicht mit allen Details langweilen, nur das Wichtigste in Kürze: Die Polizei kam, registrierte, dass ich von
     der provisorischen Baustellen-Überführung heruntergefallen war, stellte – wie ich immer noch meinte, unzutreffenderweise –
     meinen Tod fest und rief den Rechtsmediziner.
    »Hallo Rolf«, begrüßte der kleine, pummelige Mann im dunkelblauen Dufflecoat (wirklich, ich schwör’s, der kam im Dufflecoat)
     den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher