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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz
Autoren: Ake Edwardson
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1
    Das Taufkleid schleifte leise raschelnd über den Steinboden, als alles andere verstummt und die kleine Gruppe vorn am Altar mitten in der Bewegung erstarrt war.
    Dann kam wieder Leben in die Gemeinde, sehr deutlich und jäh kehrte es zurück: Das Kind schrie, immer lauter schrie es und verstummte auch nicht, als es einen Namen bekommen hatte. Isabella Magdalena. Ein feuchter Kopf und ein neuer Mensch, ein neues Leben, das wie am Spieß schrie.
    Jonathan Wide fühlte sich fremd in seinem Anzug, der von Signore in der Östra Hamngatan stammte. Gestern hatte er voller Zweifel das Geschäft betreten und war nach zehn Minuten verloren gewesen. Er hatte vor lauter Schwitzen nicht darauf geachtet, wie viel der Anzug kostete. In den ungewohnten Kleidern fühlte Wide sich noch fremder, noch mehr als der Außenseiter, der er hier in der Carl-Johans-Kirche war, unter Menschen, die er nicht kannte, abgesehen von dem Mann in seinem Alter, der mit einem Lächeln auf dem Gesicht dort vorn stand.
    Wide lachte auch, er lachte plötzlich ein kurzes Lachen, das er nicht hatte zurückhalten können, und einige drehten sich zu ihm um; aber der Mann dort vorn lächelte nur noch breiter, und die Frau neben ihm sah Wide mit demselben Leuchten an, das während des ganzen Aktes von ihr ausgegangen war. Strahlende Augen: das erste Kind, die erste Taufe. Das erste Ritual, eins von vielen auf einer langen Reise.
    Das war einen Moment unkontrollierter Freude wert.
    Jonathan Wide hatte selber zwei Kinder, aber Jon und Elsa waren nie getauft worden. In einer Zeit, als er in verschiedene Richtungen engagiert gewesen war, hatte Wide die schwedische Kirche verlassen. Seine junge Frau Elisabeth hatte dasselbe getan. Das war Ende der siebziger Jahre gewesen und Wide hatte nie wieder den Fuß in eine Kirche gesetzt. Erst als seine Frau ihn verlassen hatte, war er ein paarmal in eine von Göteborgs Innenstadtkirchen gegangen. Was hatte das zu bedeuten? Er dachte darüber nach, als er sich nun erhob und die Lippen zu einem Choral bewegte. Dort vorn sah er seinen früheren Kollegen das Gleiche tun. Svante Berger hatte den Polizeidienst quittiert, genau wie Jonathan Wide, aber Berger war nie aus der Kirche ausgetreten; er hatte lange auf diesen Moment und dieses Kind und diese strahlende fünfundzwanzigjährige Frau gewartet, die sich für die Beziehung zu ihm, dem Vierzigjährigen, entschieden hatte.
    Jetzt reparierte Berger Segelboote in einer zugigen Werkstatt an der Långedragsumgehung. Er hatte viel früher als Wide den Entschluss gefasst, sich vom Polizeidienst zu verabschieden, schon zu der Zeit, als sie beide noch Uniformen trugen.
    Sie hatten eng zusammengearbeitet, in langen, ermüdenden Nächten. In einer späten Stunde vor vielen Jahren waren sie in eine Wohnung unten in Lana gekommen, in der sie eine Mutter, einen Vater und Kinder vorgefunden hatten. Die Mutter lag niedergestreckt auf dem Küchenfußboden, der Vater stand mit einem Baby auf dem Arm vor dem Herd, und als sie die Tür aufgedrückt hatten, in die Wohnung gestürzt waren und die Küche erreicht hatten, hatte er ihnen das Kind buchstäblich entgegengeschleudert, sich dabei drehend wie ein Hammerwerfer. Das Kind kam mit einem unheimlichen, zischenden Laut durch die stickige Luft auf sie zugeflogen. Berger stand in der Wurfbahn, und mit seinem Körper machte er etwas, was eigentlich kein Mensch vermochte: Er hatte ihn zu einer Art Behältnis geformt und das Kind darin aufgefangen, während er gleichzeitig rückwärts durch den Flur stolperte und am Treppengeländer im Hausflur Halt fand. Erst war das Kind sehr still gewesen, doch dann hatte Wide sein lebendiges Geheul gehört. Er hatte am ganzen Körper gezittert. Die Mutter lag wie tot da. An der Wand hing ein Kalender, dessen Zeit schon vor zwei Jahren abgelaufen war. Durch das offene Fenster hörte man die ersten Straßenbahnen auf dem Mölndalsvägen. Berger kam vom Hausflur wieder herein, das Kind auf dem Arm, das sich bis obenhin voll geschissen hatte. Das war eine gemeinsame Erinnerung, aber sie hatten nie darüber gesprochen. Ein paar Monate später hatte Berger den Dienst quittiert. Er wollte weg, weg.
    Jonathan Wides Blick wurde klarer, als er vor die Kirche trat. Kleine Menschengruppen gingen auf die parkenden Autos am Allmänna Vägen zu.
    »Du kommst doch wohl noch ein Weilchen mit«, sagte Berger.
    »Nein.«
    »Nur auf einen Kaffee, wir können ein bisschen reden. Und Lisa würde sich freuen.«
    Wide sah die Frau mit
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