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Der kleine Erziehungsberater

Titel: Der kleine Erziehungsberater
Autoren: Axel Hacke
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Axel Hacke
    Der kleine Erziehungsberater

    Mit Bildern von Michael Sowa
    Verlag Antje Kunstmann
Erste Vorbemerkung
    S icher wollen Sie wissen, wie ich Erziehungsberater wurde. Passen Sie auf, das kam so: Eines Morgens wachte ich auf, betrachtete müde meine rot-weiß karierte Bettdecke und dachte: »…und wenn ich Dichter wäre?« Ich könnte einen Roman schreiben, dachte ich, 536 Seiten zu neunzehnneunzig, zehn Prozent für mich, das wären einsneunundneunzig abzüglich Mehrwertsteuer, und für einsneunzig bekommt man in mancher Kantine eine warme Mahlzeit. Ich könnte, wenn ich tausend Exemplare verkaufen würde, tausendmal warm essen und hätte noch Geld übrig. Ich klappte die Augen zu, drehte mich auf die Seite und wartete auf Gedanken.
    Nach kurzer Zeit hörte ich eine feine Stimme. »Hallo«, flüsterte ich, »bist du die Inspiration?«
    »Ich bin Max!«, sagte die Stimme laut, mit einem Anflug von Empörung. »Ach so«, sagte ich, »komm rein.« Die Stimme krabbelte in mein Bett.
    Ein wenig später streifte ein Finger meinen linken Arm, der unter der Decke hervorguckte. »Ooooh«, seufzte ich, »du bist sicher eine gute Idee.«
    »Ich bin Anne!«, sagte der Finger und kroch unter die Decke. Ich hörte leises Fußgetrappel auf dem Fußboden.
    »Guten Morgen, Marie«, sagte ich. Gleich darauf war das Getrappel auf meinem Bauch, und ich machte: »Mmmmpff.«
    So lagen wir da zu viert, drei kleine Kinder und ich, als ein schöner Gedanke daherflog, sich auf die Bettkante setzte und sagte: »Darf ich rein?«

    Ich sagte: »Sie sehen, was hier los ist, wo wollen Sie hin?«
    »Aber ich bin ein schöner Gedanke«, sagte der schöne Gedanke, »Sie brauchen mich für den Roman.«
    »So schön sind Sie auch nicht«, sagte ich, »kommen Sie morgen!«
    »Püh!«, machte der schöne Gedanke, »das hab’ ich nicht nötig. Warum haben Sie so viele Kinder! Schreiben Sie über die!« Er lachte höhnisch und stand wieder auf. An der Tür drehte er sich um und rief: »Auf mich warten viele.«
    »Auf mich auch«, antwortete ich leise, und dann standen wir auf und gingen Zähne putzen, und ich schrieb darüber eine Geschichte, und wir gingen Semmeln holen, und ich schrieb eine Geschichte, und dann räumten wir die Kinderzimmer auf, und ich schrieb eine Geschichte.
    So wurde ich Erziehungsberater. Das Buch ist nicht 536 Seiten dick geworden, und wir können deshalb nicht 19,90 Euro dafür nehmen, sagt die Verlegerin. Also kaufen Sie zwei, damit ich mir eine warme Mahlzeit erlauben kann, besser noch drei oder vier. Ich habe Kinder zu versorgen, das wissen Sie ja nun!
Zweite Vorbemerkung
    A ls ich dies alles schrieb, zuerst übrigens für das Magazin der Süddeutschen Zeitung, lebten wir zusammen in einem Reihenhaus am Münchner Stadtrand: Antje, die ich bei der Erziehung unserer Kinder berate, Anne, Max, Marie und ich. Anne war sechs, Max fünf und Marie zwei. Das müssen Sie auch wissen, bevor Sie anfangen zu lesen.
Holmsen
    S eit einigen Monaten sitzt morgens ein kleines Kind am Frühstückstisch, welches noch nicht allein essen kann, gelegentlich, insbesondere wenn man drei oder vier Gläschen Erdbeer in Apfelmus in seinen breiten, zahnlosen Mund hineingelöffelt hat, einen schwernassen Rülpser über den Tisch schickt, mit rudernden Armbewegungen Kaffeetassen vom Tisch fegt und karmesinroten Kopfes Windeln füllt, während die anderen Marmeladentoast essen.
    »Du bist ekelhaft und bösartig«, sagt Antje leise. »Wie kannst du so widerwärtig über ein kleines Kind schreiben!?«
    »Ich liebe alle Kinder. Aber ich liebe auch meinen Schlaf.«
    »Schlaf?«, fragt Antje und wendet den Blick ihrer rotgeränderten Augen nach innen. »Was ist Schlaf?«
    Ich gehe zum Regal und entnehme ihm ein Lexikon. »Schlaf, Johannes«, lese ich, »dt. Schriftsteller, geboren in Querfurt, 1882, gestorben 1941, auch in Querfurt. Hat mit A. Holz unter dem gemeinsamen Pseudonym Bjarne Peter Holmsen den konsequenten Naturalismus begründet. War nervenkrank, Aufenthalt in verschiedenen Heilanstalten.« Mit letzter Kraft versuche ich, das Lexikon ins Regal zurückzustellen.
    »Nervenkrank, Heilanstalt«, wiederholt Antje, »holmsen, eine ganze Nacht lang holmsen, nicht aufwachen, 24 Stunden lang nichts hören und durchholmsen, nicht aufwachen.«
    »Warumschläftdaskindnichtschläftnichtschläftnicht?« Schnuller aus dem Mund gefallen? Gier nach Fencheltee? Oder ist es hochintelligent? Hochintelligente Kinder schlafenbesonders wenig, bloß zweidreiviertel
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