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Fluchtpunkt Mosel

Titel: Fluchtpunkt Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Prolog
    Ende Januar in der Nähe von Steineberg bei Daun
    Bis zur Ankunft des Besuchers hatte Ali noch einige Vorbereitungen zu treffen. Er legte Holz in die beiden Öfen nach. Sein Gast war Raumtemperaturen unter zwanzig Grad sicher nicht gewohnt. Wenn es gemütlich warm war, führten die Verhandlungen vielleicht eher zu einem guten Ergebnis, hoffte Ali.
    Würde er heute das zu Ende bringen können, was er seit Jahren verfolgt und für das er zuletzt sogar sein früheres Leben aufgegeben hatte?
    In dem langen, schmalen Flur, der zugleich auch Wintergarten und Windfang war, verlief eine Fensterreihe über die gesamte Südseite des kleinen Hauses. Als Ali seine Füße mit den dicken Wollsocken in die schweren Schuhe gleiten ließ, sah er Quintus’ aufgestellte Rute vor der Haustür wedeln.
    Bevor er dem Hund diesen Namen gab, hatte er lange darüber nachgedacht. Er selbst hatte als Kind unter seinem Vornamen gelitten. Aber schon in der ersten Klasse war er von seinen Mitschülern und Freunden mit der Kurzform Ali gerufen worden, und dabei war es geblieben.
    Als Ali mit dem Futtereimer in der Hand aus der Tür trat, hob Quintus die Schnauze und schnupperte. Die Hunde hinter ihm rückten näher. Ali drängte sich zwischen den Polarhunden hindurch. Der Ostwind biss ihm in die Wangen. Er hätte wenigstens Mütze und Schal anlegen sollen. Dünne Schneekörner bedeckten die Moosschollen, die von den Tieren aus der Wiese gescharrt worden waren. Den Leithund an seiner rechten Seite neben dem Futtereimer, die anderen dicht dahinter, stapfte er am Futterplatz vorbei. Zwei der Hunde blieben zurück und steckten ihre Nasen in die leeren Tröge, bevor sie rasch wieder zu den anderen aufschlossen.
    Ali öffnete die Tür des Zwingers. Er spürte, wie Quintus zögerte, ihm zu folgen und wie die anderen hinter ihm stehen blieben. Ich bin also doch nicht der uneingeschränkte Rudelführer, dachte Ali. Erst als er den Inhalt des Eimers in die Tröge schüttete, kam Quintus herein. Er hinkte immer noch leicht mit der linken Vorderpfote, die er sich Anfang des Jahres am Draht des Zaunes verletzt hatte. Nun folgten ihm auch seine vier Gefährten in den Zwinger. Ohne einen der Hunde zu streicheln, schlüpfte Ali wieder hinaus und verschloss die Drahtgittertür. Schnell schritt er am Holzschuppen entlang zum Tor, der einzigen Öffnung in dem zwei Meter hohen Wildgatterzaun, der das weitläufige Grundstück umgab. Nach einem kurzen Blick in den wie üblich leeren Briefkasten, der ebenso wie die kaputte Klingel kein Namensschild hatte, ließ er das Tor nur angelehnt.
    Auf dem Rückweg zum Haus zog er den Halsausschnitt des Pullovers zum Schutz gegen den schneidenden Wind bis hoch über seine Nase, verschränkte die Arme vor der Brust und steckte die kalten Hände unter die Achseln. Seit Weihnachten war das Thermometer kaum über den Gefrierpunkt geklettert. Das schwächer werdende Licht kündigte das Ende des Tages an. Am Schuppen lud sich Ali einige dicke Holzscheite auf den Arm.
    Im Zwinger hob nur Quintus den Kopf, als sein Herrchen an ihm vorbei zum Haus zurückeilte. Seine Gefährten hatten die Köpfe in ihre Näpfe gesteckt.
    Drinnen legte Ali nochmals Holz nach. Er öffnete eine Flasche Rotwein. Entweder gab es nach dem Treffen etwas zu feiern oder der Wein würde als Trost herhalten müssen. Einen Moment überlegte er, Kerzen anzuzünden. Für den Fall, dass der Strom ausfiel, hatte er immer welche im Haus. Dann verwarf er den Gedanken. Schließlich erwartete er ja keine Frau zum Tête-à-tête.
    Während Ali die Hände in die warme Luft über dem Küchenofen hielt, schaute er aus dem Fenster. Die Hunde hatten sich in die Hütte des Zwingers zurückgezogen. Für den Rest des Tages würden sie ihre gewohnte Freiheit vermutlich nicht allzu sehr vermissen. Er hatte sie bisher nie über Nacht eingesperrt. Das war in den knapp zwölf Monaten, die er hier wohnte, nicht nötig gewesen, weil er noch keinen Besuch empfangen hatte.
    Ali ging wieder in den ungeheizten Vorraum, um die schweren Schuhe gegen Filzpantoffeln zu tauschen. Mit einem Mal fühlte er sich beobachtet. Er schaute hinaus über das Grundstück zum Zaun, in den stellenweise Schlinggewächse und Brombeerhecken gewuchert waren. Dahinter erstreckte sich das abfallende weite Land. Bei gutem Wetter konnte er von hier oben über die fernen Moselhänge bis zu den Bergketten des Hunsrücks sehen. Nichts regte sich da draußen.
    Er bückte sich nach dem Ladegerät des Handys. Im selben
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