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Fluchtpunkt Mosel

Titel: Fluchtpunkt Mosel
Autoren: Mischa Martini
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er den Schein unter der Tür von Doris’ Arbeitszimmer. Jetzt hörte er auch leise Musik und das Klappern der Tastatur.
    Er öffnete die Tür. »Du bist noch wach?« Er beugte sich vor und küsste ihren Nacken.
    »Hat mal wieder länger gedauert, als ich dachte.« Doris drehte sich auf ihrem Stuhl um, wobei ihr das zusammengebundene blonde Haar über die Schulter fiel. Im Hintergrund lief leise eine Platte von Joni Mitchells.
    »Bei mir auch.« Walde sah in ihr müdes Gesicht. Auf dem Monitor erkannte er eine Tabelle. »Keine Entwürfe?«, fragte er.
    »Nein, die sind längst fertig. Wie war’s bei dir?«
    »Das Konzert in der Tufa war spitze, da hast du was verpasst. Und danach habe ich Jo noch in eine Klanginstallation geschleppt.«
    »Nach dem Konzert?«
    »Ja, die begann erst nach elf, weil es um diese Zeit wochentags kaum mehr störende Geräusche in der Stadt gibt.«
    »Aha«, Doris blickte wieder auf den Monitor.
    »Beeindruckend, aber schlecht zu beschreiben, du müsstest so was selbst mal sehen, beziehungsweise hören.«
    Sie würde nicht zu dieser Klanginstallation gehen, dachte sie. Konzerte gehörten zu einem Teil von Waldes Welt, zu dem sie kaum Zutritt hatte. Da waren meistens nur seine Freunde dabei. Heute war die Idee, zu Lyambiko zu gehen, jedoch von ihr ausgegangen, und ausgerechnet dann musste ihr die Arbeit einen Strich durch die Rechnung machen, dieser blöde Auftrag von M&M, der das ganze Team überforderte.
    Walde merkte, dass sie sich mit anderen Gedanken beschäftigte. »Was macht Annika?«
    »Sie war eben mal kurz wach, scheint schlecht geträumt zu haben und ist gleich wieder eingeschlafen.«
    »Ich dachte, die Entwürfe wären fertig«, Walde deutete auf den Monitor, auf dem nur lange Zahlentabellen erschienen, »und was ist das?«
    »Das sind schon die Bestellungen. M&M will die Ware früher haben. Christa ist in die Türkei geflogen, um mit der Fabrik einen früheren Produktionstermin auszumachen.«
    »Warum muss das denn jetzt so schnell gehen?« Walde legte Doris die Hände auf die Schultern und knetete leicht ihre Nackenmuskeln.
    »Der Kunde ist König.« Sie legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und ließ die Hände von der Tastatur gleiten. Obwohl sie Walde dazu gedrängt hatte, zum Konzert zu gehen, kam sie sich allein gelassen vor. Sie hatte noch Arbeit, und jemand musste auch bei Annika bleiben.
    Joni Mitchell sang: »We are stardust, come from billion-year-old carbon.«
    Doris gähnte und legte die Hände wieder auf die Tastatur. »Geh schlafen, ich komme bald nach.«
     
    Spät in der Nacht spürte Walde, wie seine Bettdecke angehoben wurde und Annika neben ihn ins Bett kroch. Er rückte ein wenig zur Bettmitte und stieß an Doris, die tief atmend auf dem Rücken lag. Hinter ihm verstaute Annika ihr Kuschelfell. Kurze Zeit lauschte er ihrem Nuckeln am Schnuller, dann war er wieder eingeschlafen.
    *
    Ali wusste nicht, ob er aus dem Schlaf oder einer Ohnmacht erwachte. Hatte ihn die Kälte oder der Schmerz in seiner Stirn geweckt? Das linke Auge konnte er immer noch nicht öffnen. Mit dem rechten sah er auf zwei braune Fußbodenbretter und eine breite dunkle Ritze dazwischen.
    Der Januar ging zu Ende. In seiner Kindheit wurden um diese Zeit die Figuren der drei Könige wieder in einen Schuhkarton verstaut. Der Weihnachtsbaum war meist Wochen vorher abgeräumt worden. Letztes Weihnachten hatte er nicht einmal ein paar Tannenzweige oder einen Adventskranz im Haus gehabt. Sein Leben hatte im vergangenen Jahr einiges an Qualität verloren.
    »Sag, wo du es hast!«
    Ali verstand die Worte nicht.
    »Viel hält dein Schädel nicht mehr aus!«
    Alis Gedanken glitten ab zu Gollum, der tragischen Figur aus Tolkiens ›Herr der Ringe‹. So wie dieses bemitleidenswerte Wesen hatte er sich in den letzten Jahren manchmal gefühlt. Als eifersüchtiger Hüter des Schatzes. Isoliert, einsam, verbissen einem Ziel nachjagend. Erlitt er jetzt das gleiche Schicksal?
    Etwas schlug an seine Hüfte, dann traf es seine Rippen.
    »Du weißt, ich finde es so oder so, also rück damit raus. Ich kann auch grob werden.«
    Es war schwer für Ali die Worte zu erfassen, weil er nun verstand, woher das Geräusch kam. Es war das vertraute Piepen eines Metalldetektors. Unzählige Male schon hatte Ali es gehört. Oft war es schöner als jede Musik gewesen, einmal sogar hatte es geklungen, als würden himmlische Heerscharen herabkommen, und tatsächlich war er reich beschenkt worden.
    »Los jetzt, ich
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