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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz
Autoren: Ake Edwardson
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dann ein Türklingeln da unten und eine Klinke, die bewegt wurde. Er hörte mehrere Kinderstimmen kichern und reden, und dann kam der Gesang, »Saaaanta Luciaaaa« stieg im Treppenhaus auf, und da drehte er den Schlüssel, den er in der Hand hatte, in dem Schloss oberhalb von Stig Gunnars Namensschild um und stieß die Tür gegen die Wand dahinter auf. Jetzt war keine Zeit für Stille. Er spürte die Kühle im Vorraum, als ob er wieder ins Freie käme, und Wide stürmte mit drei Schritten weiter in ein Zimmer, das schwach von einer Lampe nah der Tür erhellt wurde. Dies ist die Wirklichkeit, dachte er, jetzt passiert es.
    Er kam hereingedonnert und es hatte nicht mehr als vier Sekunden gedauert. So was hatte er früher auch schon gemacht, da hatte er eine Waffe bei sich gehabt, aber das Gefühl war dasselbe: die Angst vor dem Tod mitten im Leben.
    Ein Gesicht wandte sich ihm zu. Es hob sich langsam vom Boden und die Augen sahen ihn mitten in einer Vorwärtsbewegung an. Es war das Gesicht eines Mannes, und auf dem Fußboden lag etwas – Wide sah alles ganz deutlich, es war ein Körper, die Füße waren irgendwie gekrümmt, und Decken und einige schwarze Abfallsäcke lagen unter dem Körper, und ein fürchterlicher Gestank schlug ihm wie durch eine Schwingtür entgegen.
    Jetzt erhob sich der Mann, er bewegte sich rasch und wich aus, als Wide sich auf ihn stürzte. Wide sah, dass der Mann einen Gegenstand zu Boden fallen ließ.
    Wide war vorbereitet. Er breitete seine Arme aus und versuchte etwas zu sagen, war aber nicht sicher, ob er richtige Wörter herausbrachte.
    Der Mann ging zwei Schritte rückwärts, drehte sich um, war mit einem Satz auf dem Fensterbrett und hing eine Sekunde im offenen Fenster. Er drehte den Kopf, Gunnar Thisenius drehte den Kopf und schaute zu etwas seitwärts von Wide, und in dem Augenblick blitzte die sinkende Sonne ein letztes Mal mit einem grellen Strahl in den Augen des Mannes auf. Seine Gesichtszüge wirkten jetzt weich und jung, wie auf dem Foto, das Wide vor kurzem auf einem Bildschirm gesehen hatte und dann auf einem deutlicheren Papierabzug. Es war das Gesicht eines Kindes. Es sagte nichts, in den Augen war keine Spur von Abschied.
    Der Kopf wandte sich dem Abend dort draußen zu, der Mann richtete sich auf und fiel langsam nach vorn und verschwand durch die Luft und war fort.
    Wide hörte einen Laut von dem Körper auf dem Boden und sank auf die Knie. Kajsa Lagergren lag gekrümmt da, Wide spürte einen schwachen Puls und zerrte das Handy aus der Brusttasche.
    Er zog Jacke, Hemd und T-Shirt aus und blies warme Luft in Kajsa Lagergrens Nase und Mund, hielt sie mit seinem breiten, kochenden Körper warm und spürte ein schwaches, aber deutliches Pochen aus ihrer Brust, das geradewegs durch ihn hindurchging.
    So lag er da, als sich etwas an der offenen Wohnungstür bewegte. Er hörte den Fetzen eines Liedes, gesungen von dünnen, kleinen Stimmen, und Jonathan Wide sah die Lichterkrone einer Lucia-Braut an der Tür aufblitzen, während gleichzeitig weit in der Ferne Sirenen ertönten, die immer näher und klarer kamen. Bald waren sie hier, er hörte sie da unten unter diesem Fenster, ein unbeschreiblicher Lärm, der nach dem kleinen Lucia-Zug zunahm, und er wusste, auch in diesem Jahr würde es wieder Weihnachten werden.
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