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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz
Autoren: Ake Edwardson
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durchdacht hatte. Es hatte wehgetan, aber das war es wert gewesen. All das Belastende, Bedrückende war jetzt vorbei. Dies war der Beginn des anderen. Er würde es allen beweisen; wie sonderbar das in seinem Kopf klang: es allen beweisen. Aber genau dieses Gefühl hatte er.
    Der Beutel lag auf dem Fußboden im Flur. Er hob ihn hoch. Er besaß ein Erinnerungsstück, etwas, was ihm bestätigen würde, dass es wirklich geschehen war, falls er einmal daran zweifeln sollte. Aber so weit würde es nicht kommen, davon war er überzeugt.

3
    Roosevelt Tanai sprach leise und mit weicher Stimme, wobei er die erste Silbe betonte und ein wenig mit der Zunge anstieß, was ihr jedes Mal auffiel, wenn er etwas gesagt hatte. Nein, an den genauen Zeitpunkt konnte er sich nicht erinnern, aber es war in der Stunde vor Ladenschluss gewesen. Sie waren zu dritt gewesen. Ob er sich gleich bedroht gefühlt habe? Aber sicher – deutlicher hätte es gar nicht sein können; er hatte gesehen, wie sie sich in dem Moment, als sie den Laden betraten, die schwarzen Masken über das Gesicht zogen. Nein, draußen waren keine Menschen gewesen. Auch keine im Laden. All das hatte er doch aufgeschrieben. Falls sie es lesen könne, denn er schrieb schlecht mit der linken Hand. Noch Schmerzen? Ja, er hatte noch Schmerzen, nicht so sehr im Gesicht, aber im rechten Arm, wo ihn der Schlag mit dem Rohr getroffen hatte.
    »War es nur ein Schlag?«
    »Nur?«
    Kajsa Lagergren seufzte unhörbar. Dieser Junge aus Kenia beherrschte die Feinheiten der Sprache. Sie musste auf ihre Wortwahl achten.
    »Sie haben einen Schlag auf den Arm bekommen.«
    »Einen Schlag auf den Arm, einen Schlag ins Gesicht, einen Tritt in den Magen. Dann lag ich auf dem Boden, und sie sagten, da bleibst du liegen, schwarzer Peter.«
    »Schwarzer Peter. Sie haben Sie schwarzer Peter genannt?«
    »Ja. Ich habe das noch nie gehört. Achtzehn Jahre bin ich jetzt in Schweden und habe das noch nie gehört.«
    Roosevelt Tanai, der Kajsa Lagergren gegenübersaß, änderte seine Haltung. Sie befanden sich im Polizeipräsidium Skånegatan, in einem Verhörraum, in dem es nach Schweiß und Kaffee roch. Der Vormittag schleppte sich dahin; eine Schreibtischlampe, in die irgendein Trottel eine Sechzig-Watt-Birne geschraubt hatte, blendete, und draußen regnete es in Strömen. Ein Verbrechensopfer, achtunddreißig Jahre alt. Eine Kripobeamtin, neunundzwanzig Jahre alt, prämenstruell, Single, zwei Gerstenkörner in den Augen, die einfach nicht verschwinden wollten. Der Regen prasselte immer heftiger gegen die Scheibe, was nicht gerade zur Gemütlichkeit der Atmosphäre beitrug.
    »Sie haben nicht gehört, wie sie gegangen sind.«
    »Nein, das fand ich ja so sonderbar; aber ich sollte es wohl auch nicht merken, damit ich liegen bleibe.«
    »Niemand hat also gesagt: ›Bleib fünf Minuten liegen, sonst kommen wir wieder‹, oder so was in der Art?«
    »So reden sie nur im Film.«
    Roosevelt auf dem Fußboden hatte so gezittert, dass er fürchtete, er bekäme einen epileptischen Anfall, ausgelöst durch den Schock. Sein Großvater hatte an dieser Krankheit gelitten.
    Kurz davor hatte sich die Tür des kleinen Ladens mit dem gewohnten Klingeln geöffnet, und er hatte aufgeschaut und die drei mit dem schwarzen Stoff über den Köpfen hereinkommen sehen. Das passiert mir doch nicht, hatte er die ganze Zeit gedacht, bis er die Schläge spürte. Erst als die Polizei kam, hatte das Zittern nachgelassen. Später war er wütend geworden – und froh darüber gewesen. Wenn er wütend wurde, war er ganz ruhig.
    Kajsa blätterte in ihren Papieren. »Sie haben ausgesagt, dass die drei etwa zehn Minuten geblieben sind.« Sie schaute auf, in Roosevelt Tanais tiefschwarzes Gesicht. Ein so schwarzes Gesicht hatte sie noch nie gesehen.
    »Das ist eine Schätzung. So lange haben sie ungefähr gebraucht, um so viel wie möglich im Laden zu zerschlagen.«
    »Es wurde nicht viel gestohlen.«
    »Das Geld haben sie mitgenommen, aber es war keine Riesensumme.«
    »Aber viel demoliert.«
    Als alles vorbei war, hatte er sich langsam erhoben. Er konnte kaum glauben, dass man in so kurzer Zeit so viel zerstören konnte. Es war eine regelrechte Zerstörungswut – ein Hass.
    »Sie müssen mich gehasst haben«, sagte er.
    »Aber derartig schlimme Feinde haben Sie doch nicht.«
    »Meines Wissens nach – nein. Aber darum geht es hier ja auch nicht.«
    »Um was geht es dann?«
    »Das ist doch klar. Ich bin eben, wie ich bin. Ich sehe aus,
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