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Tiere im Rampenlicht - aus meinem Leben als Filmtiertrainer

Tiere im Rampenlicht - aus meinem Leben als Filmtiertrainer

Titel: Tiere im Rampenlicht - aus meinem Leben als Filmtiertrainer
Autoren: Christoph Kappel
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Prolog: Auf die Plätze, fertig, Fredy
    Wie ein rasender Blitz kommt ein schwarz-weißes Hundeknäuel die Allee heruntergespurtet, dicht gefolgt von einer Luxuslimousine mit getönten Fensterscheiben, die offensichtlich das Ziel verfolgt, den gehetzten Vierbeiner plattzuwalzen. Im letzten Moment biegt der »fliegende« Hund in die Auffahrt einer pompösen Villa ein, rast mit wehenden Ohren auf das Portal zu, stürmt in die Halle und tritt mit der Hinterpfote die schwere Eingangstür zu, die sich perfekt der Villa Neureich anpasst. Mit einem satten Knall fällt sie in das schwere Schloss. Unbeeindruckt davon rennt der verfolgte beste Freund des Menschen in eines der unzähligen Zimmer und kommt ein paar Beller später, eine elegant gekleidete Lady am teuren Hosenbein ziehend, zurück in Richtung Tür. Er schnappt sich die Leine, die auf dem Designerstuhl neben dem Eingang liegt, und schickt einen auffordernden Blick in Richtung Hausherrin, der sagen soll: »Jetzt komm doch, bitte, lass uns endlich rausgehen!«
    Erstaunt und etwas verwirrt bemerkt Fredy, dass die Lady nicht ihren gewohnten Text »Was ist nur heute wieder los mit dir?« spricht. Und nicht nur Fredy hat es bemerkt: »Cut!«, hört man lautstark aus dem Hintergrund. Oje, das ist die genervte Stimme des Regisseurs.
    Wie aus dem Nichts erscheinen plötzlich vierzig hektische Menschen, die wie in einem Ameisenhaufen umherwuseln. Offenbar hat jeder eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen, Genialität und Chaos liegen auch hier eng beieinander.
    Er tut mir schon leid, mein tapferer Fredy, wie er mittlerweile zum achten Mal die Allee runtergefegt, in die Auffahrt eingebogen, geschickt die Haustür zugeschlagen, die Hauptdarstellerin
am Hosenbein aus dem Zimmer in den Flur gezerrt, die Leine vom Stuhl geholt hat, um dann auf den Text zu warten, der diesmal einfach nicht kam. Acht Klappen, acht fehlerfrei absolvierte Runden von Fredy – und doch acht kleine Kleinigkeiten und winzige Winzigkeiten, die nicht passten.
    Beim ersten Mal hat der Stuntman mit der Limousine die Kurve zur Auffahrt nicht richtig erwischt und die großen Felsbrocken aus Pappe plattgefahren, sodass sie direkt zum Altpapier gebracht werden konnten.
    Beim zweiten Mal hat der Special Effect versäumt, die Haustür mit der Fernbedienung zuknallen zu lassen, nachdem der Hund sie passiert hatte.
    Das dritte Mal war fast perfekt – leider hat ein Fussel auf der Linse der Kamera vereitelt, dass es ganz perfekt war.
    Beim vierten Mal hat dem Regisseur der Satz der Lady nicht so gut gefallen, dass es seinen Ansprüchen genügt hätte.
    Beim fünften Mal hat die Kamera, die in diesem Bild auf Schienen geführt wird, den Hund, der seine Strecke auch bei diesem fünften Mal richtig gerannt ist, auf seinem Weg in die Villa verloren.
    Beim sechsten Mal hat sich während der Szene die Sonne augenzwinkernd hinter einer Wolke versteckt.
    Beim verflixten siebten Mal hat das kleine Mikro zwischen den beachtlichen Brüsten der Schauspielerin versagt. Es konnte einfach nicht mehr …
    Und das achte Mal haben wir gerade miterlebt – der Darstellerin hat es die Sprache verschlagen.

    Über zwanzig Jahre bin ich mittlerweile als Tiertrainer im Filmgeschäft und kann aus Erfahrung erzählen, dass diese Situation von acht Wiederholungen der gleichen Szene nicht ungewöhnlich ist. Die Gefahr, dass mein Schützling die Anforderungen nach so vielen Klappen nicht mehr erfüllen kann,
ist durchaus gegeben. Doch nicht, dass Sie glauben, dass nach einem versiebten achten Mal unbedingt Schluss für den Regisseur ist! Es geht weiter. Wenn dann nach acht guten Einsätzen der Hund nicht mehr konzentriert ist oder nicht mehr mag und deshalb einen Fehler macht oder wenn er einfach am Ende ist, bleibt für mich, aber auch für das Tier, ein schaler Nachgeschmack zurück – das gilt es zu vermeiden, wenn mein vierbeiniger Star im Geschäft bleiben soll. Und perfekt gedreht werden muss die Szene sowieso. Das wird sie am Ende auch, ob es acht oder fünfzehn Klappen braucht. Geht das in Richtung Ausbeutung und Tierquälerei? Können wir das mit unserer Ethik vereinbaren? Ich antworte auf solche Fragen: Die vierbeinigen Darsteller arbeiten aus Leidenschaft für uns Frauchen und Herrchen. Sie erwarten keine Gage, abgesehen von einem gefüllten Fressnapf, sie wollen eine Aufgabe, für die es sich lohnt, im Alltag Kompromisse einzugehen. Sie wollen am Ende des Tages von einem Erfolgserlebnis gekrönt, ausgelastet, satt und glücklich
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