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Tiere im Rampenlicht - aus meinem Leben als Filmtiertrainer

Tiere im Rampenlicht - aus meinem Leben als Filmtiertrainer

Titel: Tiere im Rampenlicht - aus meinem Leben als Filmtiertrainer
Autoren: Christoph Kappel
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rot. Die Antriebsfeder für die Fortpflanzung ist die Erhaltung der Spezies. Und so habe ich der Biologielehrerin meine Beobachtungen und Empfindungen freudig vor der versammelten Klasse geschildert und gestaunt, dass ihre Wangen erst einen zarten Rosaton annahmen, der gegen Ende meiner Ausführungen zu einem tiefen Rot geworden war. Selbstverständlich war ich auch Beobachter im Kreißsaal der Tiere, von der Kuh bis zur Maus – immer habe ich miterlebt, wie die Tierkinder zur Welt kommen. Die ganze Klasse bestürmte mich mit Fragen. Ich konnte sie alle beantworten. Eigentlich hätte ich einen Preis bei »Jugend forscht« bekommen müssen!
    Mir selbst gingen die Fragen auch nie aus: Wieso laufen die Schafe von Walter allesamt einem Schaf hinterher, und jedes Schaf weiß, wer wer ist, obwohl sie doch alle gleich aussehen? Und wieso lassen sie sich von Walters Hunden herumtreiben, vor denen sie doch offensichtlich keine Angst hatten? Weshalb haben Opas Bienen nicht gestochen, wenn er seine Pfeife geraucht hat? Warum konnten sie anhand einer Farbmarkierung in Rot, Blau, Gelb oder Weiß den Eingang ihres Bienenstocks erkennen? Waren Opas Bienen besonders schlau? Und meine Mäuse, die ich heimlich unter der Schulbank hatte, sind im Religionsunterricht bei Frau Krieg nie weggelaufen – warum nicht? Weil Frau Krieg Frau Krieg hieß und trotzdem Religionsunterricht gab?
    All meine Fragen konnte ich mir durch meine ausdauernden Beobachtungen in den Jahren meiner Kindheit und Jugend beantworten. Die gute Frau Krieg war nicht schuld, und Opas
Bienen waren nicht klüger als alle anderen. Natürlich hätte auch ein Lexikon viele meiner Fragen beantwortet, aber sehr viel langweiliger, das Tier als eine Sache beschreibend und für mich nicht eindringlich genug. Die wesentlichen Fragen beantworteten mir die Tiere letztlich selbst. Sie waren es, die mich interessierten – ich konnte nicht anders. Unbewusst habe ich mit meinen frühen Beobachtungen schon den Grundstein gelegt, die Bedürfnisse und das Verhalten von Tieren zu verstehen und zu nutzen.
    So war es nur ein natürlicher nächster Schritt, die Tiere zu trainieren. Schon bald konnte ich ihnen vermitteln, was ich von ihnen wollte, und verstehen, welches Anliegen sie an mich hatten. Wir verstanden uns – und verstehen uns bis heute. Ich habe gelernt, zu begreifen, wie ein Tier die Welt sieht, die Sprache, die Körpersprache der Arten, ihre Wege, mit den Anforderungen ihres Alltags umzugehen.
    Oh ja, Tiere haben auch einen Alltag, es sind die Aufgaben, die sich Tag für Tag wiederholen. Sie als Mensch lesen morgens die Zeitung und trinken einen Kaffee dazu, dann gehen Sie mit Ihrem besten Freund Gassi: Und nun ist er dran mit »Zeitunglesen«, er ermittelt mit seiner Nase überall die Neuigkeiten und pinkelt selbst News dazu. Danach freut sich Ihr Vierbeiner auf seine hoffentlich völlig überfüllte Futterschüssel. Anschließend muss er Sie unermüdlich beobachten und aufpassen, dass es Ihnen gut geht. Fühlen Sie sich ruhig observiert, denn Sie sind es.
    Jedes Schicksal hat seinen Blumenstrauß
    Es war ein schrecklicher Tag damals vor vielen Jahren, als mein Leben aus den Fugen geriet. Von diesem Tag an war alles anders. Meine Schwester war nach einem schweren Unfall nie mehr so wie vorher, weder ihr Körper noch ihr Geist. Nach diesem heißen
Tag im August war die Unbeschwertheit der ersten siebzehn Jahre meines Lebens vorbei. Es war still geworden in unserer Familie, keine Worte, kein Lachen, kein Schimpfen mehr drang an meine Ohren, nur die schwere, traurige, stille Einsamkeit war um mich. Und da waren meine Tiere, bei ihnen fand ich Zuflucht.
    Das Vertrauen, das mir die Tiere in dieser schwersten Zeit meines Lebens schenkten, hat mich geprägt und mich für immer mit ihnen zusammengeschweißt. Die Tiere wurden zu meinen engsten Vertrauten, sie wurden zu meiner Ersatzfamilie. Sie waren immer zu einem »Gespräch« aufgelegt. Es waren natürlich Monologe meinerseits, meine Zuhörer schauten mich aus treuen Tieraugen an. Sie konnten meine Schmerzen und mein Hadern nicht kommentieren, doch sie waren da, und ohne mir je eine Antwort auf meine Fragen zu geben, boten sie mir mit ihrem vertrauten Verhalten eine Konstante in dieser Zeit. Ohne dass es mir damals bewusst war, dienten mir meine Tiere als Menschenersatz.
    In dieser Zeit wurde mir etwas Wesentliches klar: Wenn die Tiere mir eine Familie sein können, dann kann ich das ja genauso für sie sein. Wir Menschen können
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