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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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Diane weiß ich seit Jahren, dass es nicht gegen Allergien hilft: Sie hatte ihren Sohn fünfzehn Monate lang voll gestillt, aber als Schulanfänger war er gleich gegen mehrere Dinge allergisch und hat bis heute asthmatisches Husten, wenn die Gräser blühen. Ich verstehe darum nicht, warum sich 38-jährige Business-Frauen, denen das Stillenkeinen Spaß macht, das trotzdem antun. Viele Journalistinnen sind darunter, vielleicht, weil sie danach darüber Bücher und Essays schreiben können, wie sehr ihnen ihre Brüste wehtun, wie abhängig sie das Brustgeben macht und wie repressiv aber die Gesellschaft sei, die sie angeblich dazu zwinge. Lasst es doch einfach. Ist kein Ding.
    Ich tat das für mich und auch nur vier Monate. Das absonderliche Abpumpen versicherte mir, dass ich wirklich Kinder auf die Welt gebracht hatte, die irgendwo 700 Meter entfernt von mir im Brutkasten lagen, schliefen und wuchsen. Dies war meine einzige Möglichkeit, ihnen dabei zu helfen, und mir tat dabei auch nichts weh, sonst hätte ich es nämlich gelassen, so wie Milla es ließ, als sie Schmerzen dabei bekam.
    Am Wochenende kam Paul nach Berlin, so wie früher. Nur, dass wir jetzt zuallererst in die Klinik gingen, uns unsere Mädchen auf den Bauch legten, sie liebkosten, sie fütterten, ihnen die Windeln wechselten (Größe 0 – die gibt es – war zu groß), sie wieder in den warmen Kasten legten und für eine Nacht in unser Haus fuhren.
    Da kochten wir, saßen am Kamin, ohne meinen Bauch, ohne unsere Kinder, eigentlich so wie früher, und versuchten uns an den Gedanken zu gewöhnen, nicht mehr allein mit uns zu sein, was natürlich sehr theoretisch blieb. Zunächst. Als wir einmal Sonntagabend zurück in die Klinik kamen, sagte eine Schwester, es gebe ein Problem mit Henriette. „Welches?“ fragten wir hektisch. Sie spannte uns mit besorgtem Blick auf die Folter. Sie sagte, erst müsse der Arzt kommen. Es dauerte nur Minuten, bis er kam. Aber in diesen Minuten war es, als täte sich ein Abgrund vor uns auf. Henriette, erfuhren wir, hatte eine Infektion. Man müsse abwarten, sagte der Arzt, ob das Antibiotikum anschlage. Das Kind sah bleich aus und eingefallen. Wir heulten, beide.
    Das Mittel wirkte, aber die 24 Stunden bis zu dieser Gewissheit waren bang. Ein Frühgeborenes hat nicht viel Widerstandskraft. Jetzt wussten wir nur zu genau, wie sehr wir schon an diesen roten Aliens in den beiden Brutkästen hingen. Wir waren eindeutig Vater und Mutter.
    Paul fuhr wieder nach Leipzig. Täglich simste ich ihm die Gewichtszunahme, diese Zehn-, Zwanzig-, Dreißig-Gramm-Schritte jeden Tag. Ich führte währenddessen ein Leben zwischen Berlin-Mitte-Schickse und Mutterkuh. Tagsüber kuschelte ich Babys im Krankenhaus und abends ging ich ins Kino. Ich plante morgens eine Küche für die Leipziger Wohnung und aß abends beim neuesten Thailänder. Ich besorgte einerseits Strampler und feierte andererseits auf dem vierzigsten Geburtstag von Lars. Einmal lud Mark, mein Kollege von der Zeitung, einen Schwung Leute abends zum Bowling ein. Er stand auf so etwas, liebte es, unser szeniges Berlin-Mitte-Leben mit einem spießigen Rudelsport der Achtziger zu kontrastieren.
    Es kamen lauter Journalisten zwischen dreißig und vierzig, eher Zeitgeist-Feuilleton als Politik, eher kinderlos als frisch entbunden. Alle sahen lässig und großstädtisch aus, wie gehabt. Ich sah aus wie die Frau vom Biohof-Laden. Ich hatte rote Bäckchen, trug ein olles, verwaschenes T-Shirt, auf dem eventuelle Milchflecken nicht allzu sehr auffallen würden, und formlose Dreißig-Euro-Jeans, die ich mir gekauft hatte, weil sie genug Platz für meinen Restbauch boten, der sich nach dreieinhalb Wochen noch nicht gänzlich verdünnisiert hatte. Ich schwitzte wie eine Frau im Klimakterium und freute mich gleichzeitig, noch nicht ganz vom Leben der unabhängigen Erwachsenen ausgeschlossen zu sein. Ich hatte extra meine Abzapf-Zeiten etwas nach hinten verschoben, um beim Bowling sein zu können. Als wir nachher noch in eine angesagte, verrauchte Spelunke wechselten, hielt ichaber nur noch eine Stunde durch. Die Uhr hatte die 23.30-Uhr-Marke gerissen, und mein Körper forderte, fast zwei Stunden überfällig, dringend: „ Pump it up. “ Ich fügte mich.
    Ich vollendete die Schwangerschaft sozusagen wie ein Känguru. Kinder schon draußen, aber noch nicht lebensfähig. Und unser Beutel war der Brutkasten.
    Elf Tage vor Weihnachten fuhren wir die Kinder heim in ein Heim, das für uns alle
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