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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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Intro
    Es kann ein Tag im alten Jahrtausend gewesen sein oder schon einer im neuen, das weiß ich nicht mehr genau, nur, dass es ein schöner Tag war, warm und leicht und ausgeschlafen. Es war Sonnabend oder Sonntag, das ist sicher, weil es immer Sonnabend oder Sonntag war, wenn ich so mit Paul in Berlin auf dem Balkon sitzen konnte. Ich hatte mir Süßkirschen an die Ohren gehängt, er an seine frisch gewaschene Socken, was das erste intime Geständnis in diesem schonungslosen Bericht über unser außerordentliches und aufregendes Leben zwischen zwei Städten ist. Ein Leben, wie es jedes sechste Paar in Deutschland irgendwann führt; man braucht sich da nichts einzubilden. Nur, wir haben es zehn Jahre lang ausgehalten.
    Wir machten zu den Kirschen beziehungsweise Socken seriöse Gesichter und erzählten Belangloses. Paul war nun bald 33 oder 34, ich Ende zwanzig, und an den Wochentagen und auch an vielen Wochenenden mussten wir todernste Dinge tun, zum Beispiel Ministerpräsidenten oder Serienmörder fragen, wann sie denn nun endlich aufhören wollten (ich), oder Köche, Kellner, Geschäftsführer und Lieferanten dabei beobachten, dass sie alles so tun, wie man es ihnen vorbestimmt hat, aber sich trotzdem Sorgen machen (er).
    An diesem Tag, in etwa, muss es gewesen sein, dass Paul sagte, wir sollten es mal realistisch sehen: So gut, wie wir zusammenpassten und wie es doch liefe, würden wir wohl das Leben miteinander verbringen.
    Ach, das war mal eine so schöne wie bestürzend aufrichtige Erkenntnis, nach sieben Jahren oder acht! Da lassen sich andere schon wieder scheiden. Aber wir fanden unser Eingeständnis, mit Kirschen und Socken an den Ohren, umwerfend.Von außen betrachtet war es vor allem nicht selbstverständlich. Denn wir hatten in all den Jahren noch nicht einen einzigen Tag zusammengewohnt.
    Zwischen uns und dem Alltag lagen in jener Zeit 194 Kilometer, ohne Stau-Umfahrung. Einige Jahre zuvor waren es 439, von Leipzig nach Hamburg, einige Jahre später noch mal 396, wieder Hamburg, aber mit anderer Adresse und neuer Autobahn, zuletzt 198, wieder Leipzig – Berlin. Allerdings gab es da bereits unser Hideaway in Brandenburg, einen Bauernhof und die dritte Adresse in diesem kilometerfressenden Leben.
    Wir verloren allmählich den Überblick, in welchem Haushalt noch mal genau das Waschmittel alle war. Oder war es Ingwer? Das Salz? Die Zeit?
    Zehn Jahre lang hatten wir uns Woche für Woche auf Achse begeben, nur, um zusammen essen, schlafen und streiten zu können; um Freunde zu sehen oder eben nicht. Oder Eltern, Geschwister, Ausstellungen, Filme, den neuesten vietnamesischen Imbiss oder viereinhalbstündige Theatervorstellungen von Christoph Marthaler. (Ehrlich gesagt, Marthaler-Inszenierungen an der „Volksbühne“ hielten wir nur bis zur Pause durch; man verwahrlost schon auch.)
    Fiel das Wochenende aus, sahen wir uns erst das nächste wieder oder das übernächste. Und nach dem Urlaub an der See fuhr der eine nach Leipzig und die andere nach Hamburg, was nicht schön war.
    Es hat genervt, was hat das genervt! Andererseits war es ein großes Glück. Denn ohne die Distanz wären wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Paar geblieben. Und das wäre schade gewesen.

Absolute Beginner
    Wenn man jung in zwei verschiedene Richtungen geht, ohne einander zu verlassen, hat das Vorteile, die sich zunächst als Nachteil tarnen. So meinen zum Beispiel viele um dich herum, deine Liebe löse sich binnen weniger Monate auf wie eine Sprudeltablette. Das heißt, sie denken das nicht bloß, sie sagen es dir. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, wurde mir einigermaßen plump in unserer Stammkneipe in Leipzig ins Ohr geraunt, nicht mal leise.
    Paul war 28, ich knapp 24 und eine kleine, blonde, junge Frau ohne sonderliche Angst vorm Leben. So eine wird in der Fremde als potenzielles Wild gewähnt, nicht wehrlos, aber gerade darum zur Jagd geeignet, nicht unbedingt für bessere Männer, aber für andere. Zu schade für einen allein, sozusagen. Besonders Typen, die damals deutlich über vierzig waren, flüsterten mir, dass ich nur noch nicht wüsste, wie schnell das Neue reize. Ich nehme an, sie sprachen über sich.
    Lothar, Thomas und Hubert und wie sie so hießen, hätten mit ihren vergifteten Weissagungen nichts Besseres tun können, um Paul und mich noch mehr zusammenzuschweißen. Denn ist die Entscheidung, die Stadt allein zu verlassen, erst einmal getroffen, weiß man es längst besser. Dein Geliebter
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