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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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waren. Offenbar war dem nicht so. Ich legte mir darum folgende Standardantwort zurecht: „Unsere Kinder sperren wir tagsüber immer in einen Käfig, aber nicht ohne ihnen morgens ein Stück Fleisch hineinzuwerfen. Gott sei Dank haben sie schon Zähne.“
    Unsere Töchter waren jeden Wochentag sieben Stunden in der Krippe, Paul brachte sie an vier Tagen der Woche morgens hin. An drei Tagen holte unsere Kinderfrau sie nachmittags ab und hütete sie, bis einer von uns nach Hause kam. Das war frühestens gegen halb sieben am Abend. An meinem freien Tag übernahm ich das Hinbringen und Abholen. Ich verließ das Haus vor halb acht und kam nach zwölf, manchmal schon elf Stunden wieder und wenn ich auf Dienstreisen war, nach zwei oder drei Tagen. Das klingt strukturiert, das war es auch. Aber natürlich brachte jeder Infekt der Kinder, jede Unzuverlässigkeit der Kinderfrau, jede meiner Ad-Hoc-Dienstreisenunser Modell an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit.
    Einmal konnten wir Hanni nicht erreichen, unsere damalige Nanny. Hanni war 39, geschieden, hatte einen fünfzehnjährigen Sohn und sich bis dahin als zuverlässig und herzlich erwiesen. Aber nun war sie einfach mal: weg. Ich plante die halbe Woche in Hessen zu recherchieren, alles war verabredet. Aber sie ging nicht ans Telefon, nicht ans Handy, zu keiner Tageszeit. Paul musste komplett einspringen und ihren Job übernehmen für diese Woche. Wir standen Kopf.
    Nach zwei Tagen, ich war in Wiesbaden unterwegs, bekam ich endlich die verräucherte Stimme von Hannis Mutter in die Leitung. Sie sagte, ihre Tochter sei wohl krank, sie würde sich sicher noch melden. Die ältere Frau klang, als lüge sie wie gedruckt. Ich flog Freitag wie geplant von Frankfurt nach Leipzig zurück – und traute im Zubringerbus zur Boeing 737 meinen Augen nicht: Hanni stieg ein, gewandet in leichtes Sommerleinen. Die Dame hatte Urlaub gemacht! Ohne Ansage! Sie sah mich nicht, sie rechnete nicht mit mir, sie wähnte mich ja in Berlin.
    Ich duckte mich in meinen Flugzeugsitz und schrieb Paul eine SMS: „Du glaubst nicht, wer ...“ Und so weiter. Er simste in Rekordgeschwindigkeit zurück: „Unfassbar, dieses Miststück ...“ Und so weiter. Ich merkte irgendwann aus den Augenwinkeln, dass sie mich entdeckt hatte – aber sie kam nicht auf mich zu. Hanni hoffte, ich würde sie bis zum Schluss nicht sehen: eine korpulente Frau in hellem flatternden Leinen bei kaltem Novemberwetter zwischen lauter Männern und Frauen im schwarz-grauen Businesslook.
    Natürlich warfen wir sie hinaus. Natürlich fragten wir uns, in welchen Dingen sie uns noch belogen hatte. Unsere Kinder konnten noch nicht sprechen und uns sagen, ob sie sich wirklich gut kümmerte. Natürlich machte uns das Angst.Natürlich würden wir wieder jemand Vertrauen schenken müssen, wollten wir beide unserer Arbeit nachgehen. Erst im dritten Anlauf fanden wir eine wahre Perle.
    Mein Büroleiter wurde, als ich erst einmal wieder da war, schnell wieder freundlich und verbindlich. Er unterstützte mich und legte mir keine Steine in den Weg. Er verschonte mich sogar, ungebeten, mit allzu vielen Wochenenddiensten. Nur leider blieb er nicht mehr lange Chef. Er suchte sich nichts in seiner Nähe, sondern ließ sich innerhalb des Hauses wegloben. Für ihn änderte sich nicht mal das Büro, aber für uns als Team alles. Sein Nachfolger wurde ein Kollege aus unserer Mitte, den ich zuvor kennengelernt hatte als jemanden, der ungern half und sogar die Handynummer eines Parteipressesprechers hütete, als sei sie ein Staatsgeheimnis. Die Stimmung kippte. Nach zwei Jahren unter seiner Führung verließen großartige Kollegen das Büro und zogen nach Hamburg, andere erkämpften sich einen Sonderstatus, der sie unabhängig von seinen Entscheidungen machte. Das Plus-Minus stimmte schon bald nicht mehr, und zu Hause funktionierten wir nur noch.
    Wir stellten uns als Paar während dieser zweieinhalb Jahre immer häufiger die Frage, wo wir beide blieben, Paul und ich, ob es das noch lohnt, hier leben und da arbeiten. Wofür tat man das noch gleich? Für einen guten Job, der gutes Geld bringt und einem gute Laune macht und damit das Leben lebenswerter? Meine Dreißig-Stunden-Woche hatte längst 38 Arbeitsstunden und mehr – plus zehn Stunden Fahrtzeit, bei deutlich weniger Verdienst, aber deutlich höheren Kosten. Meine Reportagen wurden mal veröffentlicht, mal nicht, nach undurchsichtigen Kriterien. Textchefs lobten sie, Ressortleiter verhinderten
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