Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
Vom Netzwerk:
neu war. Ich hatte mich auf die Rückbank des Autos zwischen die Babyschalen gequetscht. Während Paul müde und abgespannt vom Umzugsstress über die Autobahn fuhr und versuchte nicht einzuschlafen, berührte ich die Babys alle fünf Minuten, um sicherzugehen, dass sie noch atmeten.
    Wir hatten bis zu diesem Tag noch nie zusammengelebt. Jetzt waren wir auf einen Schlag zu viert auf 120 Quadratmetern. Plus Hund.

EheCard 100 und kein Ende. Oder?
    Leipzig, Hamburg, Berlin, Hamburg, Berlin. Und nun: Leipzig. Dass ich zurückkehrte, als wir zur Familie wurden, lag nicht an meiner Sehnsucht nach dem Ort meiner Kindheit, sondern daran, dass es anders nicht ging. Vater, Mutter, Kind, Kind, Hund konnten wir nur da zusammen sein, wo Paul seine Geschäfte machte, und das war in dieser Stadt, die schöner war als früher und vertraut irgendwie und gleichzeitig sehr fremd geworden. Der Mensch an meiner Seite war derselbe geblieben. Nur sonst hatte alles gewechselt, der Freundeskreis, die Wohnungen, der Status, die Wahrnehmung, die Altersklasse. Feine Linien um deine Augen, graue Strähnen in seinem Haar.
    Zehn Jahre zuvor hatte ich nicht jeden Stein gekannt, aber sicher jede Kneipe, jeden Club, jeden Kulturschaffenden oder was sich dafür hielt. Damals war ich mittendrin, jetzt stand ich am Rand, mit Kinderwagen. Ich brauchte lauter entsetzlich praktische Dinge, so etwas wie Kinderärzte, Physiotherapeuten, die Drogerie, eine Joggingstrecke, einen Schneider, einen Friseur, einen Supermarkt mit anständiger Fischtheke. Und ich brauchte ein paar nette Menschen, die auch bloß keine Zeit für Kultur und Bars hatten, aber wüssten, wie man Möhrenbreiflecken aus dem Babypulli kriegt und trotzdem politisch unkorrekte Witze reißen. Manche hören damit nämlich auf, sobald sie sich vervielfältigen.
    Ich kannte so gut wie niemanden mehr in der Stadt und schon gar keinen mit Anhang unter einem Meter. Alle waren längst fortgezogen, oder wir hatten uns aus den Augen verloren. Und meine besten Freunde wohnten über München, Berlin, Hamburg und New York verstreut. In Leipzig kommt da keiner mal eben vorbei, schon gar keiner, der selbst Kinder hat.
    Wenn ich mir anschaue, wo meine Kollegen aus der Journalistenschule gelandet sind, darf ich mir durchaus vorkommen wie die letzte Provinzursel, die sozusagen von der umherschwirrenden Business-Woman retardiert ist zur gebundenen Mittdreißiger-Mutti: Ich bin die Einzige, die wieder da gelandet ist, von wo sie ausgezogen war, das Fürchten zu lernen. Die anderen? Eine Frau arbeitet in Washington D.C., eine weitere in Kalifornien, eine korrespondiert aus Moskau, der nächste Kollege hat es zum Vorstand in Frankfurt am Main gebracht, ein anderer zum Ressortleiter in München, vier Freundinnen leben und schreiben im Herzen Berlins, an der Seite dichtender und sendender Männer; sie tanzen in ihrer Freizeit Tango oder Swing in Mitte und Kreuzberg und laden berühmte Literaturagenten, Moderatorinnen und Schauspieler auf ihre Partys.
    Als ich dagegen nach Leipzig zurückkam, verließen gerade die letzten halbwegs bekannten Intellektuellen die Stadt, darunter die Schriftstellerin Juli Zeh samt ihren Hunden. Egal, für Komplexe hatte ich gar keine Zeit. Mit Babys ist es piepegal, wo man lebt, solange die Wohnung schön ist und das Wasser warm fließt und der Supermarkt nebst Apotheke um die Ecke liegt und man gelegentlich Schlaf bekommt: Wir schwebten in der Babyblase. Ein Jahr Auszeit lag vor mir, ein Jahr voller Möglichkeiten. So zumindest dachten wir uns das. Danach, so viel war schon in der Schwangerschaft klar, würde ich anfangen nach Berlin zur Arbeit zu pendeln. Und diesen Tag sehnte ich schneller herbei, als ich mir gewünscht hatte.
    Als das deutsche Fußballsommermärchen endete und sich danach drückende Hochsommerhitze wochenlang wie Gel über das Land legte, als aus unseren einst roten Brutkasten-Aliens runde, möhrenbreigebräunte Blondinenbabys mit irritierend wachen Augen in der Farbe von Vergissmeinnichtgeworden waren – begann ich mich zu langweilen. Es war Juli, Monat neun meiner Auszeit, und ich hatte mich für den Hochsommer auf unserem Bauernhof einquartiert und tout Berlin wissen lassen, dass man die Babys und mich gefälligst besuchen könne, jeden Tag oder Abend der Woche. Die Betreffzeile der Mail hieß: Sommerhaus, jetzt! Und ich dachte, wer da nicht kommt, ist selber schuld.
    Es kam: so gut wie keiner. Denn diese Leute, die meine Freunde waren oder zumindest so etwas in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher