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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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neue Bar, die er ein Jahr zuvor eröffnete hatte, kam nicht zum Fliegen und schrieb Verluste. Das alles war sowieso schon ungünstig für einen Selbstständigen, der ohne Netz und doppelten Boden agierte, erst recht aber jetzt, da sich die Anzahl der zu versorgenden Familienmitglieder gerade von zwei auf vier erhöht hatte. Als er also, und sei es nur gefühlt, „der Ernährer“ geworden ist.
    Und ich? Konnte vom ersten Möhrenbrei berichten, der völligen Aussichtslosigkeit, gleich zwei Krippenplätze zu finden, der Suche nach Tagesmüttern, von Buggy-Käufen undder Konsistenz der Kinderkacke. Das war an sich nicht das Problem. Aber schnell verlor der gepeinigte Geschäftsmann (Paul) die Ehrfurcht vor der Art von Vollzeitpflege, die Ganztags-Mutti (ich) unseren gemeinsamen zwei Hosenscheißern angedeihen ließ. Als einmal nichts zum Abendessen zu Hause war, nichts jedenfalls, worauf Paul Lust hatte, entfuhr ihm im Streit darüber tatsächlich diese Frage: „Was machst du eigentlich so den ganzen Tag?“
    Der Ton war scharf, und ich war wütend. Damit war die Dissonanz für den Rest des Jahres angeklungen. Er hatte es nicht so gemeint, natürlich nicht. Paul vermisste es einfach, und das bis heute, „dieses Geräusch der zuschnappenden Wohnungstür hinter mir, und dann kommt nichts, einfach nur Stille, das Alleinsein mit einem Buch, höchstens unterbrochen von den Fernsehnachrichten. Dazu ein selbstgemachtes Thunfisch-Sandwich, ein Bier. Und dieses Sich-Nicht-Verhaltenmüssen, weißt du? Das fehlt mir total.“ Stattdessen zickten wir uns an und zwar genau über all jene Nichtigkeiten, die wir früher so großzügig ausblenden konnten.
    Was Wunder. Wir waren nie mehr allein, wir waren jetzt immer zu vielt. Das ist für die Liebe wie eine dauerhafte Umwandlung ihres Aggregatszustands, von ruhend-fest zu bewegt-gasförmig. Das erhöht den Druck, stark. Und manchmal explodiert einfach der Kessel. Man muss nach der Explosion nur in der Lage sein, sich zu sagen, dass es an den Umständen liegt, aber nicht am anderen. Darin waren wir ganz gut, meistens. Wir lernten es neu, das Plus-Minus-Sehen. Nichts anbrennen lassen. Sagen, was man fühlt. Wiedergutmachung üben.
    Trotzdem, ich begann im Stillen die Tage zu zählen, bis ich wieder arbeiten würde. Januar, komme! Und bloß gut, dachte ich, dass wir schon ab September stundenweise diese Tagesmutter haben würden. Dann könnte ich, wenigstens für einenTeil des Tages, endlich raus, Lesen, Reden ohne Unterbrechung durch Geningel.
    Daraus wurde natürlich nichts.
    Die Tagesmutter hatte ich beizeiten in einem aufwändigen Casting ausfindig gemacht. Sie war jung, dick und hatte künstliche Glitzergel-Fingernägel, war aber ausgebildete Erzieherin und schien die Gelassenheit selbst zu sein. Wir besprachen alles mehrfach. Wir besuchten sie mehrfach. Wir hatten einen Vertrag. Doch vier Tage vor Ultimo – meine neue Freiheit lachte mir schon keck entgegen – sagte die dicke junge Frau ab und nahm lieber zwei andere Kinder auf, die anders als unsere schon sitzen und laufen konnten. Sie hatte einfach Schiss bekommen, es nicht zu schaffen. Das war zwar ehrlich, aber so spät im Jahr annonciert, dass alle, alle, alle Kindergärten und Krippen längst ihre Plätze neu verteilt und die Gruppen voll hatten.
    Es war eine Katastrophe.
    Ich bekam Panik. In drei Monaten wollte ich wieder in Berlin auf der Matte stehen und meinen neuen Kind-und-Karriere-Spagat anstrengen. Aber das hier sah schwer nach einer programmierten Überdehnung aus. Paul und ich telefonierten und recherchierten den ganzen Tag, um Alternativen zu finden. Mittlerweile war es Oktober. Schließlich hatte ich Glück im Unglück und fand auf den letzten Pfiff zwei Krippenplätze in einer Tagesstätte, die nicht in unserem Quartier lag, aber in sechs Minuten Auto-Entfernung zu erreichen war. Leipzig war so wunderbar klein im Vergleich zu Berlin. Das war mitunter lästig, in diesem Fall aber perfekt: Einen Riesengarten gab es da und eine staatlich anerkannte Betreuung, die nicht ausfallen würde, nur weil eine Erzieherin mal krank war. Ab Januar könnten wir die Kinder eingewöhnen, darum verschob ich meine Rückkehr in den Job schweren Herzens um einen Monat nach hinten.
    Ich fuhr nach Berlin, um mit dem Büroleiter über meine Beschäftigung für den Rest der Elternzeit zu verhandeln, das hieß, über das kommende knappe Jahr. Ich sprach mit jenem Mann, der mich umarmt hatte, als ich ihm von meiner Schwangerschaft
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