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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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Die Mädchen waren dürr, faltig und rot. Sie sahen aus wie zwei gerupfte, überbrühte Hühner, das aber versehen mit viel versprechenden Gesichtszügen, vollen Lippen und wunderhübschen Josephine-Baker-Frisuren. Henriette hatte ein blaues Auge, weil sie bei der OP einen Schlag abbekommen hatte, bei Lotta lief der Kreislauf noch manchmal falsch herum, weil sich eine notwendige Venenklappe noch nicht geschlossen hatte.
    Als ich sie mir ansah, man hatte mich im Rollstuhl herbeigekarrt, kam bei mir nicht viel mehr Information an, außer: Sie leben und bekommen alles, was sie brauchen, und mir tut alles weh, ich kippe gleich um, lasst mich wieder liegen, und was ist im Übrigen das riesige, hartgummiartige Runde an mir dran? Ach, Brüste.
    Die letzte Phase unserer Liebe auf Achse bekam in den folgenden zweieinhalb Monaten die Züge einer Groteske. Es war so, als wollte uns das Schicksal noch mal einen Wink mit der Zaunlatte geben und mitteilen: Falls hier irgendwer denkt, er könne auf Dauer noch woanders wohnen, als der Partner – vergiss es!
    Milla besuchte mich und brachte Spieluhren, Helene sagte beim Anblick von Henriette „ach, du jemineh!“ und scheute sich, die papiernen Wesen zu streicheln, meine Cousine beschaffte Still-BHs, meine Kollegen schickten einen Strauß, so groß wie das halbe Krankenzimmer, und zwei von ihnen brachten einen Korb voller Feinkost, den wir sofort gemeinsam plünderten. Alle rissen fortwährend Witze, und ich dachte, bei jedem Lachen, mir zerreißt es den Bauch.
    Viereinhalb Tage nach der Geburt verließ ich leicht gekrümmt die Klinik, nicht mehr schwanger, aber auch noch nicht wirklich Mutter. Eher: sehr unwirklich Mutter. Es nahm sich surreal aus. Ich war aber nicht traurig oder niedergeschlagen, sondern sehr fröhlich. Ich musste nur begreifen lernen, dass ich jetzt Kinder habe, ohne sie zu haben. Nicht mehr, nicht weniger.
    Die Babys, sagte man uns, würden acht bis zwölf Wochen drin bleiben müssen, bevor man sie entlassen könne. Ich besuchte sie ein- bis zweimal am Tag für ein paar Stunden. In den ersten Wochen schlugen ihre Überwachungssysteme alle paar Minuten Alarm. Jedes Mal, wenn der Sauerstoffgehalt im Blut eine gewisse Schwelle unterschritten hatte oder der Puls nicht gleichmäßig genug war, passierte das. Anfangs zuckten wir zusammen, die Ärzte und Schwestern aber blieben gelassen. Offensichtlich war es nicht schlimm. Wir härteten ab, bald ließen die Alarme nach.
    Paul fuhr zurück nach Leipzig, um zu arbeiten und unsere künftige Wohnung klarzumachen. Es war noch nichts organisiert, kein Mietvertrag, kein Umzugsunternehmen und keine Ahnung eigentlich, wohin mit mir. Die viele Zeit, die wir glaubten, noch zu haben, hatte sich in nichts aufgelöst. In drei Wochen würde ich meine Wohnung in Berlin verlassen müssen, für den Untermieter. Ich hätte ein gräuliches Zimmer im Krankenhaus beziehen können, aber davor graute mir. Darumblieb mir nichts anderes übrig, als mich, mit 33, noch einmal bei meiner Mutter und ihrem Mitbewohner einzuquartieren. Sie räumten sein kleines Schlafzimmer für mich frei. Darin saß ich dann um zwei Uhr nachts und um sechs, um zehn, um 14, um 18 und um 22 Uhr auf der Bettkante und pumpte Milch ab. Ich hatte mir dafür ein Gerät geliehen, das aussah wie ein Eierkocher und allen Ernstes „Medela Symphony“ hieß. Sinfonie! Warum denn nur? Weil das Ding beide Brüste gleichzeitig leer saugen konnte? Ganz großes Orchester? Warum dann nicht: „Stereo“?
    Es gibt kaum einen Anblick, der gleichzeitig so komisch und entwürdigend ist wie der einer Frau, die sich dual mittels eines motorgetriebenen Geräts leerpumpt. Fernsehen gucken konnte man dabei nicht. Erstens hatte ich keinen in dem Schlafzimmer, zweitens war die Pumpe zu laut. Lesen ging auch schlecht, denn die Brüste müssen im richtigen Winkel angezapft werden. Es war wirklich stumpfsinnig.
    In meinem neuen Vierstunden-Rhythmus bestritt ich die Tage und Nächte. Ich packte Kisten und organisierte ein Umzugsunternehmen, ich schrieb einen Text über einen Ehrenmord für das Magazin zu Ende, der liegen geblieben war. Und dann – pumpte ich wieder. Muh! Die Milch brachte ich in Flaschenbatterien wie ein Lieferant in die „Milchküche“ der Klinik, in der sie portioniert wurde für die sieben Fütterzeiten der Babys rund um die Uhr.
    Ich war eigentlich nicht sonderlich aufs Stillen versessen und konnte mit diesem Hype um Muttermilch nie etwas anfangen. Von meiner Freundin
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