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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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Meine Mutter kam von ihrer Arbeit mit dem Taxi angebraust, natürlich fuhr ihres bis direkt vor die Tür. Sie hielt meine Hand und war die personifizierte Sorge. Ich heulte hysterisch oderwimmerte leise oder schaute leer. Ich wähnte meine Kinder schon totgeboren oder hirngeschädigt.
    In diesem Augenblick, wo der ungeheuerliche Verlust im Raume stand, wurde ich endlich zu einer richtig schwangeren Schwangeren, einer Frau, die nichts anderes wollte, als herrliche, gesunde Kinder zur Welt bringen, um jeden Preis. Scheiß auf den Job, scheiß aufs Schreiben, scheiß auf die persönliche Freiheit! Berlin oder nicht Berlin? Alles Schnulli. Worum geht es hier eigentlich?!
    Zwar hielt dieser Zustand nur dreieinhalb Tage an, aber interessant war es mal.
    Die Mediziner vermuteten einen feinen Riss in einer der Fruchthüllen und sagten, so etwas passiere, der könne sich sogar wieder schließen. Ich müsse nur liegen, im Zweifel monatelang. Auch aufs Klo gehen gehe nicht. Selbst das: im Liegen erledigen.
    Mama war da, Paul war da, wir bestellten Pizza und kamen zur Ruhe. Wir sahen alle drei hundert Jahre älter aus als noch am Tag zuvor und begannen, das Beste zu hoffen. Monatelang zu liegen und im Liegen jegliche Notdurft verrichten zu müssen, war nicht das Beste für mich, sondern so ziemlich der worst case , aber die einzige Option für die Brut. Nun denn. Ich fügte mich. Man muss Opfer bringen und sich unterordnen, was, man wird es ahnen, ebenfalls nicht die Stärke von Journalisten ist.
    Man gab mir Wehenhemmer, mein Puls raste davon. Außerdem wurden Mittel gespritzt, die die Lungenbläschen der Babys zur vollen Entfaltung bringen sollten. Ich sagte zu allem Ja und Amen und vertraute der Schulmedizin. Ich hatte eh keine Wahl.
    Außerhalb der Krankenhauswelt hatten Paul und ich bis eben noch prächtig im Plan gelegen. Mein Apartment in Berlin würde in vier Wochen an einen netten Mann von MTVuntervermietet sein, pünktlich zu meiner Mutterschutzfrist, der regulären jedenfalls. In Leipzig hatten wir eine offenbar passende Wohnung gefunden, die bloß noch angeschaut werden müsste. Aber die Fotos im Internet versprachen Gutes. Und das vielleicht Wichtigste für die Psyche, war: Wir hatten Namen für die Kinder gefunden. Noch bis vor wenigen Tagen war das anders, da hatten Hanni und Nanni noch die neuen Arbeitstitel „die Shrimps“ oder „Henriette und das andere Kind“. Aus dem „anderen Kind“ war neulich Lotta geworden. Haken dran.
    Aber alle anderen Haken: wieder ab. Zu früh gefreut. Der gute Plan war nichtig. Denn am Tag vier im Krankenhaus ließ sich die Natur nicht länger hinhalten. Die Babys mussten geholt werden. Zu Ermutigung hatte man uns zuvor auf die Frühgeborenenstation der Klinik gebracht und gezeigt, dass auch aus Zweipfündern echte Menschen werden können. Ich hatte trotzdem Schiss, bis mir der aus Armenien stammende Anästhesist unter wortreichen Märchenerzählungen in gebrochenem Deutsch endlich die Spinalbetäubung setzte. Augen auf und durch. Hinter dem grünen OP-Tuch würden sie gleich irgendetwas Lebendiges aus mir heraus schneiden. Das war schon mal sicher.
    Die Nacht davor war unser privater kleiner Horrorfilm abgelaufen. Ich hatte mit Vorwehen gekämpft, und Paul hatte versucht, um bei mir zu sein, auf einem unbequemen Bürostuhl zu schlafen. Wir waren im Souterrain der Klinik abgetaucht, in einem dunklen, türkisgrün gefliesten Kreissaal von der Größe eines mittleren Badezimmers. Ich lag darin wie ein gestrandeter Wal in einem leergepumpten Swimmingpool, was gut zu meinem zunehmend einfallenden Bauch passte. Nebenan im anderen Kreissaal presste eine Frau, unter dem üblichen Geschrei und den routinierten Ansagen einer Hebamme, einen gesunden Jungen heraus, was psychologischeinfallsreich war: Besser hätte man mich nicht quälen können – da das pralle Leben, hier die Angst, ob überhaupt etwas leben würde.
    Aber am Morgen danach war Schluss mit der Ungewissheit. Gegen 9.40 Uhr krähte Kind eins, leise, aber deutlich. Gegen 9.50 Uhr Kind zwei, und ich wurde wieder zugenäht. Spezialkinderärzte nahmen die Babys sofort mit und legten sie nach der Erstversorgung in zwei Brutkästen mit Totalüberwachung, für jede Körperfunktion ein Monitor. Ich bekam Schmerz- und Schlafmittel und dämmerte weg.
    Als ich die Wesen am Nachmittag betrachtete wie exotische Tiere in Quarantäne, steckten in ihren Köpfen Kanülen, ihre Füße waren so lang wie der kleine Finger einer kleinen Frau.
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