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Es gibt kein nächstes Mal

Es gibt kein nächstes Mal

Titel: Es gibt kein nächstes Mal
Autoren: Imogen Parker
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    Die Stadt, die niemals schläft, war in einen unruhigen
Schlummer gesunken. Zwar herrschte nie vollkommene Stille, doch zu dieser
frühen Morgenstunde waren die Geräusche gedämpft, weniger aufdringlich, fast
verstummt. Gemma war hellwach, wie schon den größten Teil der Nacht über. Sie
lag im Bett, gelähmt von einer berauschenden Mischung aus Furcht und Aufregung.
So nervös war sie seit dem Tag nicht mehr gewesen, an dem sie ihren ersten
richtigen Job angetreten hatte.
    Schließlich warf sie das Federbett zurück und
trat ans Fenster. Oberhalb des zehnten Stockwerks verschwanden die Hochhäuser
in den Wolken, aber nicht etwa in einzelnen Wattewölkchen, sondern eher in
einer Art undurchlässigem Smog. Sie zog ein langes Gesicht. Sie war so sicher
gewesen, daß der Flimmel an ihrem letzten Tag klar sein würde, damit New York
für sie noch einmal in seiner ganzen Pracht erstrahlte, wenn die scharfen
Kanten die grellen Sonnenstrahlen auffingen und glitzerten.
    Es würde einer jener Tage werden, an denen man
das Gefühl hatte, die Sonne würde nie wieder scheinen.
    Sie fröstelte. Da sie ihren Bademantel bereits
eingepackt hatte, hängte sie sich ihren neuen Trenchcoat über die Schultern.
Gegen die weiße Spitze ihres Nachthemds nahm sich der schwarzglänzende Lack
ziemlich verrucht aus.
    In der Küche gab es noch ein Schälchen, einen
Löffel und gerade genug Haferflocken und Milch für ein einziges Frühstück. Sie
hatte sich einen starken Kaffee gekocht, den sie in einen riesigen
portugiesischen Keramikbecher goß. Nachdem sie gefrühstückt hatte, spülte sie
das Geschirr und trocknete es sorgsam ab, dann wickelte sie es in das
Seidenpapier, das sie zu diesem Zweck aufgehoben hatte. Sie verstaute die
Gegenstände ganz oben in der offenen Umzugskiste und verschloß den Karton nach
kurzem Zögern mit Klebeband. An diesen Bechern hatte sie schon immer gehangen,
denn sie mochte die leuchtenden Farben und das schlichte Design. Sie hatte mit
dem Gedanken gespielt, sie mitzunehmen, sich dann jedoch dagegen entschieden.
Es sollte ein Neubeginn mit neuen Dingen werden.
    Der einzige Gegenstand, über den sie sich immer
noch unschlüssig war, war die Einziehdecke. Sie war hauchdünn und federleicht,
mit Gänsedaunen gefüllt; im Winter hielt sie warm, war aber gleichzeitig leicht
genug für die heißesten Sommernächte in New York. Sie war ganz sicher, daß sie in
London nichts vergleichbar Gutes würde erstehen können, doch ihre Vorstellungen
von den Einkaufsmöglichkeiten in London stammten noch aus der Zeit, als sie
gezwungen gewesen war, von einem minimal aufgebesserten Stipendium zu leben.
Sie beschloß, die Decke einzupacken, doch als sie das Gebäude verließ,
überlegte sie es sich anders, machte kehrt, rannte die Treppe zum fünften Stock
wieder hinauf und zerrte die Decke aus ihrer Kiste. Sie trug sie nach unten,
klemmte sie sich unter den Arm, als sie die Haustür hinter sich verschloß, und
überreichte sie der nächstbesten Stadtstreunerin, die ihr auf der Straße
entgegenkam. Die Frau untersuchte die Steppdecke so argwöhnisch, wie sie es mit
allen milden Gaben tat, und sie prüfte die Qualität, als kaufte sie einen
Teppich auf einem türkischen Basar. Dann faltete sie das Federbett zusammen,
band es mit einer Schnur auf ihrem Einkaufswagen fest und zog wortlos damit ab.
     
    »Rate, wo ich bin!« sagte Gemma.
    »Dazu ist es für mich noch zu früh«, erwiderte
eine verschlafene Stimme am anderen Ende der Leitung. Meryl fing erst an zu
funktionieren, wenn sie mindestens zwei Tassen Kaffee getrunken hatte.
    »Ganz oben auf dem Empire State Building!«
    Es war kurz nach halb zehn. Sie war vollkommen
allein hier oben, die erste Besucherin des Tages und wahrscheinlich auch die
einzige, wenn die Wolkendecke sich nicht auflöste. Der Fahrstuhlführer hatte
sie für verrückt gehalten.
    »Ach, wirklich? Versuchst du, ein Flugzeug zu
erwischen?« fragte Meryl.
    Gemma lachte. »Ich versuche, die elementarste
aller New-York-Erfahrungen zu machen.«
    »Wie ist die Aussicht?«
    »Ich sehe nicht das geringste«, sagte Gemma.
»Ich dachte mir, vielleicht käme ich über die Wolkendecke hinaus. Eine
verrückte Idee, aber schließlich konnte ich nicht fortgehen, ohne hier oben
gewesen zu sein, meinst du nicht auch? Wo treffen wir uns?«
    Meryl nannte das Lieblingsrestaurant der beiden.
    »Was wirst du mit dem Rest des Vormittags
anfangen?« fragte sie.
    »Ich werde all meinen
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