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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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erst in der 28. Woche. Das hieß, zwölf Wochen lagen vor mir. Fast drei Monate. Scheiße, was war das?
    Ich telefonierte mit meinem Frauenarzt. Keiner da, seine Praxis öffnete erst zwei Stunden später. Ich telefonierte mit Paul. Er riet, Ruhe zu bewahren. Ich recherchierte Fachärzte in meiner Nähe. In drei gynäkologischen Praxen bekam ich jemanden an die Strippe. Man wehrte mich wortreich ab: Alles voll, zu lange Wartezeiten, zur Not müsse ich ins Krankenhaus. Ich ließ mich jedes Mal herab zu betonen, ich sei im übrigen Privatpatientin. Nützte nichts. Heute gab es keine Erste-Klasse-Medizin, nicht für mich. Wo steckten nur all die armen Ärzte, die immer zu wenig Honorare bekamen? Krankenhaus sah ich nicht als Option, noch nicht. Ich telefonierte wieder mit Paul. Er sagte, er könne es nicht beurteilen. Ich müsse entscheiden, ob ich mich gut genug fühlte zu arbeiten.
    Es war bald acht Uhr, in 35 Minuten sollte mein Zug gehen. Mein Körper stellte das Tröpfeln ein. Ich fuhr in die Uckermark und drei Stunden später zurück. Mittags kreuzte ich quer durch die Stadt zu meinen Gynäkologen. Sie machteneinen Test, der Fruchtwasser als solches identifiziert hätte, und schlossen meinen Bauch an Messegeräte an. Ohne Befund, zwei Herzen schlugen darin artig, keine Wehen. Alles in Ordnung. Ich ging am Nachmittag zum Grünen-Politiker und führte das Interview.
    Als ich mich zwei Stunden später erhob und von ihm verabschiedete, bekam ich einen Riesenschreck. Meine Hose klebte beim Aufstehen am Hintern. War es das Ledersofa, auf dem ich gesessen hatte. Hatte ich geschwitzt? Oder ist das etwa  ...? Panisch rannte ich aufs Grünen-Klo. Die Hosenboden war: nass. Mir wurde heiß und kalt vor Scham. Dann sah ich, mein schwarzes Überkleid darüber war trocken geblieben. Ich hatte also keinesfalls: einen Fleck hinterlassen. Keine Feuchtgebiete. Denn wenn doch – man stelle sich das vor! Erdboden, verschlinge mich!
    Es gibt wenig, wovor Frau Horror hat, aber wenn, dann davor, dass unbemerkt von ihr irgendwelche Körperflüssigkeiten sichtbar werden, die keiner sehen sollte. Der allergrößte Alptraum wäre, wenn dies im Job geschieht. Er war heute beinahe wahr geworden. Ich dankte Nadja im Geist für dieses schwarze Wunderkleid, das das Schlimmste verhindert hatte. Und wandte mich endlich meinen echten Problemen zu.
    Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte, aber es war nun mal so: Ich lief aus. Und das bedeutete, ginge das so weiter, lägen meine ungeborenen Kinder bald auf dem Trockenen. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Zurück in der Redaktion sortierte ich mich kurz. Das heißt, ich versuchte das, begann aber zu heulen. Mein Kollege Dietmar fragte nach, bis ich endlich eine Antwort heraus jammerte. Er bestellte mir besorgt ein Taxi, brachte mich herunter zur Straße und gab dem Fahrer Anweisung, in welches Krankenhaus er zu fahren hatte. Ich wusste nicht mal, was das nächstgelegenewar. Ich hatte in insgesamt acht Jahren Berlin noch nie eines gebraucht.
    Das Taxi warf mich am Klinikum Friedrichshain ab, an irgendeinem Haupteingang. Ich ging zur Anmeldung und wartete ungeduldig, bis das zerschrammte Alkoholikerpärchen vor mir seine unverständlichen Verhandlungen mit dem Krankenhauspersonal beendet hatte. Die Frau am Schalter war freundlich, schickte mich aber woandershin: zur Notaufnahme. Zu Fuß. Wie gesagt, ich ging mit Zwillingen schwanger und verlor Fruchtwasser. Das hatte ich auch gesagt. Es schien keine Rolle zu spielen.
    An der Notaufnahme angekommen, verwies man mich erneut: zur Frauenklinik. Die Frau hinter der Scheibe zeigte irgendwo in die Weiten des Geländes und gab eine umständliche Wegbeschreibung ab, die man durch die Scheibe kaum verstand. Ich lief und lief, hunderte von Metern, um Häuserecken und Rabatten.
    Ich verlief mich.
    Ich hatte Paul am Handy, dann Milla, Helene, meine Mutter und wieder Paul. Ich stieß Flüche über das unfähige Gesundheitssystem aus. Ich weinte und schimpfte im Wechsel. Irgendwann rief eine rauchende Frau, die an einem Wirtschaftshintereingang stand, mir zu: „Hallo! Kann ich helfen? Wollen Sie vielleicht zu uns?“ Endlich. Es war eine Frauenärztin, die es nachher nicht fassen konnte, dass man mich hatte her laufen lassen. Wenige Augenblicke später lag ich in einem Untersuchungszimmer auf einer Liege, an Apparate angeschlossen. Der Fruchtwasser-Test war jetzt positiv. Und das war wirklich negativ.
    Paul saß längst im Auto auf dem Wege nach Berlin.
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