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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein
Autoren: Jonathan Franzen
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Ein Wort zu diesem Buch
    M ein dritter Roman,
Die Korrekturen
, an dem ich viele Jahre gearbeitet hatte, erschien eine Woche vor dem Einsturz des World Trade Center. Es war eine Zeit, in der es so aussah, als müssten die Stimmen von Ego und Handel verstummen – eine Zeit, in der man sich, um mit Nick Carraway im
Großen Gatsby
zu sprechen, «die Welt auf immer uniformiert und in einer Art moralischer Habtachtstellung» wünschte. Doch Geschäft ist Geschäft. Binnen achtundvierzig Stunden nach der Katastrophe gab ich schon wieder Interviews.
    Meine Befrager interessierten sich besonders für das, was sie den «
Harper’s
-Essay» nannten. (Niemand benutzte den eigentlichen Titel
Perchance to Dream
, «Vielleicht ein Traum», den man ihm bei der Zeitschrift gegeben hatte.) Ein typisches Interview begann mit der Frage: «1996 kündigten Sie in Ihrem
Harper’
s
- Essay an, Ihr drittes Buch werde ein großer Gesellschaftsroman sein, der den kulturellen Mainstream aufs Korn nimmt und der amerikanischen Literatur neue Impulse gibt; glauben Sie, mit den
Korrekturen
haben Sie das eingelöst?» Einem Befrager nach dem anderen erklärte ich, nein, ganz im Gegenteil, meinen dritten Roman hätte ich in dem Essay kaum erwähnt, die «Ankündigung» sei von einem Redakteur oder Überschriftenmacher der Sonntagsbeilage der
Times
frei erfunden worden, und weit davon entfernt, das Entstehen eines großen Gesellschaftsromans anzukündigen, der zum Mainstream Neues beizutragen habe, hätte ich den Essay vielmehr als eine Gelegenheit begriffen, ebenjener Art von Ehrgeiz abzuschwören. Da die meisten Interviewer den Essay gar nicht gelesen hatten und die wenigen, die ihn doch gelesen hatten, ihn missverstanden zu haben schienen, bekam ich einige Übung darin, seinen Inhalt klar und knapp zu formulieren;im November, nach meinem hundertsten oder hundertzehnten Interview, hatte ich mir eine hübsche kleine Korrekturformel zurechtgelegt, die folgendermaßen anfing: «Nein, eigentlich drehte sich der
Harper’s
-Essay darum, dass ich mein Selbstverständnis als Schriftsteller, der gesellschaftliche Verantwortung trägt,
aufgebe
und lerne, aus Spaß und zur Unterhaltung zu schreiben   …» Ich war irritiert und mehr als nur ein wenig gekränkt, dass anscheinend niemand in der Lage war, diesen schlichten, klaren Gedanken aus dem Text herauszulesen. Wie vorsätzlich dumm, so dachte ich, doch diese Medienleute waren!
    Im Dezember beschloss ich dann, eine Sammlung Essays zusammenzustellen, die den vollständigen Text von
Perchance to Dream
enthalten und deutlich machen sollte, was ich darin gesagt hatte und was nicht. Doch als ich das
Harper’s
-Heft vom April 1996 aufschlug, stieß ich auf einen offensichtlich von mir verfassten Essay, der mit einer achthundert Zeilen langen Klage von solch quälender Schärfe und dürftiger Logik begann, dass nicht einmal
ich
ganz mitkam. In den fünf Jahren, seit ich den Essay geschrieben hatte, hatte ich doch tatsächlich vergessen, dass ich ein sehr zorniger und theorielastiger Mensch gewesen war. Ich war von apokalyptischer Sorge darüber erfüllt, dass die Amerikaner viel fernsehen und wenig Henry James lesen. Ich war wie ein religiöser Fundamentalist, der sich einredet, dass der Welt, weil sie nicht seinen Glauben teilt (in meinem Fall den Glauben an die Literatur), zwangsläufig das Ende bevorsteht. Ich hielt unsere amerikanische Volkswirtschaft für ein einziges Komplott mit dem besonderen Ziel, meine künstlerischen Ambitionen zu hintertreiben, alles, was ich an der Zivilisation schön fand, auszumerzen und dabei auch den Planeten zu drangsalieren und zu zerstören. Von dieser zornigen und verzweifelten Warte aus war das erste Drittel meines Essays geschrieben, und zwar in einem Ton hochtheoretischen Grolls, der mich jetzt ein wenig schaudern ließ.
    Keine Frage, schon 1996 wollte ich mit dem Essay den Ausbruch eines feststeckenden Schriftstellers aus dem Gefängnis seiner zornigen Gedanken dokumentieren. Weswegen ein Teil von mir auch dazu neigt, das Stück genau so wieder abzudrucken, wie es damals erschienen war, als Beleg meines früheren Fanatismus. Allerdings nehme ich an, dass die meisten Leser ein begrenztes Verlangen nach Verkündigungen haben wie:
     
    Wenn ich den tonangebenden Kreisen von Wirtschaft und Regierung glaubte, so schien es mir, dass kein einziger der Ansicht wäre, dass Bücher eine Zukunft haben, hätten wir Washington und die Wall Street nicht in der Raserei erlebt,
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