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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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der Art, hatten zu tun, sie hatten zu recherchieren, zu schreiben, zu planen und projektieren, zu drehen und zu lektorieren oder ihrerseits Kleinstkinder zu pampern, sie hatten zu: irgendwas. Und wenn sie nicht in Berlin ackerten, waren sie auf Dienstreise in Phnom Penh oder auf Erholung in Usbekistan. Nadja oder Merle oder Helene, Mark oder Lars oder Lukas hatten keinen Bock, abends noch hinauszufahren, zu einer intellektuell unterforderten Mama mit Milchfläschchen im Anschlag, schon gar nicht bei dieser Affenhitze. Es hatte Tag um Tag 35 Grad, abends 29. Die Aussicht „gemütlich“ zu grillen lockte, was Wunder, niemanden, der sich in Berlin-Mitte quasi vor der Haustür eisgekühlte Drinks besorgen konnte und zwar auf Restaurant-Hausbooten, die auf der Spree ankerten und mit Swimmingpools bestückt waren.
    Zum ersten Mal spürte ich sie deutlich, die Einsamkeit der Mutter vorm Einmeter. Denn so richtig hinein in die normale der Welt der Erwachsenen würden Paul und ich erst wieder kommen, wenn die Nachhut sich der Metergrenze näherte. Aber das wusste ich im Babyjahr nicht. Ich versuchte, so allein auf dem Dorf im heißen Sommer, Dinge „zu schaffen“, so wie früher. Ich malerte oder installierte einen zweimal zwei Meter großen Laufstall, ich machte artig Gymnastik gegen Rückenschmerzen und las schwergängige Romane in Schneckengeschwindigkeit oder kochte Brei aus Pastinaken. Ichbewunderte die Schönheit meiner Brut und bemerkte gleichzeitig, dass meine Lust, ihr altersgerechte Greif-, Klötzchenund Singspiele angedeihen zu lassen, gegen Null tendierte. Ich tat es natürlich trotzdem. Darüber wurde mir noch langweiliger. Die schlauen Blauaugen verfolgten von ihrer Liegeposition aus genau jeden meiner Schritte, lachten und lechzten nach Förderung.
    Ansonsten machten wir einander keinen Stress. Ich hatte mich als einwandfreie Verhaltensforscherin entpuppt. Mein Mutter-Gen war offenbar problemlos zugeschaltet worden von meinem Hirn; da war ich mir vorher nicht allzu sicher gewesen. So aber verstand ich die sprachlosen Lebewesen ohne Worte, konnte jede Regung, jeden Ton der Kinder einer bevorstehenden oder eben absolvierten Aktivität zuordnen, einem Pups, einem Rülpser, einem Schiss in die Windel, dem Hunger oder dem Durst, der Müdigkeit oder dem Bedarf nach Kuscheln.
    Zum Glück machten die Zwillinge, wenn sie nicht gerade Diarrhöe hatten, nachts selten Lärm. Sie schliefen mit sieben Monaten bis zu zehn Stunden durch und weinten nicht beim Zahnen, was das Lächeln anderer Baby-Besitzer augenblicklich gefrieren ließ, wenn sie davon erfuhren. Aber ich schwöre, wir konnten nichts dafür!
    Wir lebten in den Sommertag hinein wie ein träges Rudel, und jeden Freitag stieß der Leitwolf aus Leipzig dazu. Wenn die Kinder schliefen, waren wir Mann und Frau. Wenn sie nicht schliefen, waren wir Papi und Mami und veranstalteten Babyschwimmen im See. Das war die glänzende Seite der Medaille. Die Kehrseite, allerdings, wurde das Jahr über etwas blind.
    In Leipzig hatte sich unsere Fernbeziehung zu diesem Zeitpunkt in eine äußerst nahe verwandelt. Manchmal geriet sie zum Nahkampf. Wir sahen uns jetzt, nach Jahren maximalerIndividualität, plötzlich jeden Tag, das heißt: jeden Morgen, jeden Abend, jede Nacht, manchmal sogar mittags und das alles unter verschärften Rahmenbedingungen, nämlich in einer Rollenverteilung, die wir nicht nur nicht kannten, sondern die uns nicht entsprach: Ich hütete die Höhle, er jagte das Geld.
    Rechnerisch fiel ich als Mit-Finanzier unseres Lebens nicht mal aus. Ich brauchte meine Steuerrückzahlungen der vergangenen beiden Jahren auf. Sie waren sozusagen mein privates Elterngeld, denn das staatliche wurde leider erst ein Jahr später erfunden. Die Erstattung war hoch ausgefallen, weil ich jahrelang zwei Haushalte unterhalten und gigantische Summen für Fahrtkosten in den deutschen Wirtschaftskreislauf gepumpt hatte. Das Geld war ein kleiner Ausgleich dafür, eine Rendite gewissermaßen.
    Man kann so eine Fernliebe also durchaus von der Steuer absetzen. Man kann sie nur leider nicht vom Leben absetzen. Wir standen unter Strom, und darum begannen Paul und ich, uns im letzten Drittel unseres Baby-Jahres gehörig auf die Nerven zu gehen. Es kamen ein paar Sachen zusammen. Die ungewohnte, dauernde Nähe war das eine. Außerdem machte das Café weniger Umsatz; die komplizierte Trennung von einer seiner leitenden Angestellten beschäftigte Pauls Anwälte und plünderte sein Konto. Die
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