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Sonntags bei Tiffany

Sonntags bei Tiffany

Titel: Sonntags bei Tiffany
Autoren: Patterson James
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EINS
    J ede Kleinigkeit dieser Sonntagnachmittage ist in mein Gedächtnis eingebrannt, doch statt bei der Sache mit mir und Michael gleich auf den Punkt zu kommen, werde ich mit dem weltbesten, leckersten und vielleicht sündigsten Eisbecher beginnen, der im St. Regis Hotel in New York City serviert wird.
    Ich nahm immer das Gleiche: zwei faustgroße Kugeln Kaffeeeis, verwirbelt mit einem Strang heißer Karamellsoße, die dicker, klebriger und zäher wird, wenn sie die Eiscreme berührt. Darauf kam echte Sahne. Selbst im Alter von acht Jahren kannte ich den Unterschied zwischen echter Schlagsahne und dem gefälschten Nichtmilchprodukt aus der Sprühdose.
    Auf der anderen Seite meines Tisches im Astor Court saß Michael, unanfechtbar der hübscheste Mann, den ich kannte oder, ich korrigiere, bis dahin kennengelernt hatte. Und der netteste, freundlichste und vielleicht klügste Mensch.
    An jenem Tag beobachtete er mich mit seinen leuchtend grünen Augen, als ich mit unverhohlener Freude dem Kellner in weißer Livree entgegenblickte, der den Eisbecher mit quälender Langsamkeit vor mich stellte.
    Michael bekam eine Schale mit Melonenkugeln und Zitronensorbet.
Seine Fähigkeit, den Freuden eines Früchteeisbechers zu widerstehen, konnte mein kindliches Gehirn noch nicht begreifen.
    Â»Vielen Dank«, sagte Michael, der seine Liste beneidenswerter Eigenschaften durch ein hohes Maß an Höflichkeit ergänzte.
    Woraufhin der Kellner … nichts erwiderte.
    In den Astor Court ging man, wenn man im St. Regis Hotel ein schickes Dessert haben wollte. An diesem Nachmittag saßen hier wichtig aussehende Menschen, die wichtig wirkende Gespräche führten. Im Hintergrund spielten zwei Geiger auf Symphonieorchesterniveau, als wären sie im Lincoln Center.
    Â»Okay«, sagte Michael schließlich. »Zeit, mit dem Jane-und-Michael-Spiel zu beginnen.«
    Mit strahlenden Augen klatschte ich in die Hände.
    Das Spiel funktionierte so: Einer von uns deutete auf einen Tisch, der andere musste sich überlegen, um was für Leute es sich handeln könnte. Der Verlierer bezahlte das Dessert.
    Â»Und los!« Michael streckte den Finger in Richtung dreier junger Mädchen in fast identischen hellgelben Leinenkleidern.
    Ohne zu zögern sagte ich: »Debütantinnen. Erste Saison. Gerade den Abschluss an der High School gemacht. Vielleicht in Connecticut. Vielleicht – wahrscheinlich – Greenwich.«
    Michael legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Du hast eindeutig zu viel Zeit mit Erwachsenen verbracht. Aber sehr gut, Jane. Ein Punkt für dich.«

    Â»Also gut.« Ich deutete auf einen anderen Tisch. »Dieses Paar da drüben. Das aussieht wie die Cleavers in Leave it to the Beaver. Erzähl mir ihre Geschichte.«
    Der Mann trug einen graublau karierten Anzug, die Frau eine leuchtend rosa Jacke mit grünem Faltenrock.
    Â»Ehepaar aus Nord-Carolina«, ratterte Michael sogleich los. »Wohlhabend, Inhaber einer Tabakladenkette. Er ist geschäftlich hier. Sie begleitet ihn, um einen Einkaufsbummel zu machen. Jetzt erzählt er ihr, dass er die Scheidung einreichen will.«
    Â»Oh.« Ich blickte auf den Tisch hinab und stieß kräftig die Luft aus, während ich den Löffel in meinen Eisbecher tauchte und ihn mir dann in den Mund schob. »Ja, anscheinend lassen sich alle Paare scheiden.«
    Michael biss sich auf die Lippen. »Ach nein, warte, Jane. Ich habe Unrecht. Er bittet sie nicht um die Scheidung. Er sagt ihr, er hat eine Überraschung – er hat eine Kreuzfahrt geplant. Auf der Queen Elizabeth II. nach Europa. Es sind ihre zweiten Flitterwochen.«
    Â»Klingt schon besser.« Ich lächelte. »Ein Punkt für dich. Hervorragend.«
    Ich senkte den Kopf und bemerkte, dass mein Früchteeisbecher irgendwie fast verschwunden war. Wie immer.
    Michael blickte sich theatralisch im Restaurant um. »Da sind welche, die errätst du nie«, sagte er.
    Er zeigte auf einen Mann und eine Frau nur zwei Tische entfernt.
    Ich blickte hinüber.
    Die Frau war etwa vierzig Jahre alt, gut gekleidet und atemberaubend hübsch. Man hätte sie für eine Filmschauspielerin
halten können. Sie trug ein leuchtend rotes Designerkleid und passende Schuhe zu ihrer großen, schwarzen Handtasche. Alles an ihr sagte: Seht mich an!
    Der Mann, mit dem sie am Tisch saß, war jünger, blass und sehr dünn. Er trug einen
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