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Sonntags bei Tiffany

Sonntags bei Tiffany

Titel: Sonntags bei Tiffany
Autoren: Patterson James
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mit einem letzten Schniefen. »Danke. Mir geht’s schon besser.«
    Michael blickte sich in ihrem Zimmer um. Es war typisch Jane: stapelweise Kinderbücher, für die sie noch viel zu jung war; in der Ecke ein echtes Saxophon; ein Poster mit französischen Vokabeln; über dem Schreibtisch ein Bild von Warren Beatty mit Autogramm. Vivienne hatte es von einer dreimonatigen Geschäftsreise aus Los Angeles mitgebracht, während der sie kein einziges Mal nach Hause gekommen war, um ihre Tochter zu sehen.
    Jetzt musste Michael mit Jane reden. Ihr gemütliches Zimmer, in das sie vor der Party geflohen war, hätte nicht geeigneter dafür sein können. Der Zeitpunkt – unmittelbar, nachdem sie von ihren beiden Eltern verletzt worden war – hätte nicht ungeeigneter sein können.
    Â»Du bist ein ganz, ganz wunderbares Mädchen«, begann Michael. »Weißt du das? Ja, das weißt du sicher.«
    Â»Irgendwie ja, aber nur, weil du mir das jeden zweiten Tag sagst«, erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln.
    Â»Du bist schön, innen wie außen«, fuhr er fort. »Du bist unglaublich klug, belesen, lustig und aufmerksam. Und großzügig. Du hast so viel zu geben.«
    Jane merkte auf. Er hatte gerade gesagt, sie sei klug – und genau das würde sie ihm jetzt beweisen.
    Â»Michael, was versuchst du mir zu sagen? Was ist los? Etwas Schlimmes?«
    Seine Knie wurden weich, und Tränen verschleierten seinen Blick. Warum jetzt? Warum Jane? Warum er?
    Â»Du bist jetzt neun Jahre alt«, zwang er sich zu sagen. »Du bist ein großes Mädchen. Und deswegen … und deswegen
… ich werde dich heute Abend verlassen, Jane. Ich muss gehen.«
    Â»Ich weiß. Aber du kommst morgen wieder. Wie immer.«
    Michael schluckte. War das furchtbar. Es brach ihm das Herz.
    Â»Nein, Jane. Die Sache ist die, ich werde nie wieder zurückkommen. Ich habe keine andere Wahl, so lauten die Regeln.« Noch nie hatte er sich so schlimm gefühlt wie jetzt, als er ihr diese Worte sagen musste. Jane war etwas Besonderes. Sie war anders. Er wusste nicht, warum, er wusste es einfach. Zum ersten Mal kam Michael die Regel, ein Kind an seinem neunten Geburtstag verlassen zu müssen, dumm und ungerecht vor. Er wäre lieber gestorben, als Jane diesen Schmerz zuzufügen. Aber es stimmte: Er hatte keine andere Wahl. Die hatte er nie.
    Sie weinte nicht, bewegte keinen Muskel ihres Gesichts – genau wie Vivienne. Sie blickte Michael direkt in die Augen und hüllte sich in ein schreckliches Schweigen, das er bei ihr noch nie erlebt hatte.
    Â»Jane, hast du mich verstanden?«, fragte er schließlich.
    Die Pause schien eine Ewigkeit zu dauern.
    Â»Ich bin noch nicht so weit, dass du gehen kannst.« Große Tränen kullerten über ihre Wangen. »Ehrlich, ich bin noch nicht so weit.«
    Als sie nach einem Papiertuch griff, um sich die Nase zu putzen, zitterten ihre kleinen Hände. Das gab ihm den Rest. Diese zierlichen, kleinen Hände, die unkontrolliert zitterten. Es war unerträglich.

    Verdammt, dachte er. Dann kam ihm eine Idee, doch es war etwas, das er noch bei keinem Kind getan hatte.
    Â»Jane, ich erzähle dir ein Geheimnis. Es ist ein Geheimnis, das ich noch nie jemandem erzählt habe, und du darfst es niemandem weitererzählen. Es ist das Geheimnis imaginärer Freunde.«
    Â»Ich will deine Geheimnisse nicht hören«, wehrte sie stur ab. Ihre Stimme zitterte, doch Michael fuhr fort.
    Â»Kinder haben imaginäre Freunde, damit diese ihnen im Leben helfen. Wir helfen Kindern, damit sie sich nicht so allein fühlen und ihren Platz in der Welt und in ihren Familien finden. Aber dann müssen wir gehen. Das war schon immer so und wird immer so sein. Jane. So … funktioniert das eben.«
    Â»Aber ich habe dir gesagt, ich bin noch nicht so weit.«
    Michael verriet ihr ein anderes Geheimnis. »Sobald ich weg bin, wirst du dich nicht mehr an mich erinnern, Schätzchen. Das tut niemand. Wenn du je an mich denkst, wirst du glauben, du hättest geträumt.« Damit wurde diese Angelegenheit wenigstens annähernd erträglich.
    Jane packte seinen Arm. »Bitte verlass mich nicht, Michael. Ich flehe dich an. Das darfst du nicht – nicht jetzt. Nie! Du weißt nicht, wie wichtig du für mich bist!«
    Â»Du wirst sehen, Jane, du wirst mich vergessen«, versprach er ihr. »Und morgen wird es nicht mehr
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