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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Autoren: Peter Mersch
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Vorwort
    Ausgangspunkt des vorliegenden Buches waren Fragen wie: Was treibt die technische Evolution an? Wie entsteht eigentlich Fortschritt? 1
    In der Biologie nimmt man allgemein an, vergleichbare Fragestellungen für den eigenen Wissenschaftsbereich längst geklärt zu haben: Es sei das Prinzip der natürlichen Auslese, welches die Evolution des Lebens und die Vielfalt der Arten bewirke: Besser an ihren Lebensraum angepasste Individuen hinterlassen durchschnittlich mehr Nachkommen als weniger gut angepasste.
    Doch selbst Charles Darwin kamen bereits erste Zweifel: Wie konnten unter den Bedingungen der natürlichen Selektion etwa Pfauenmännchen entstehen, deren riesige gefiederte Schweife einer optimalen Adaption an ihren Lebensraum eher im Wege stehen?
    Seine Antwort war verblüffend: Es sei die sexuelle Selektion, die Auswahl der geeignetsten oder vielleicht auch nur „genehmsten“ Männchen durch die Weibchen, die all dies bewirke.
    Mit der sexuellen Selektion gelang der Natur 2 eine ganz entscheidende Innovation, die die Grundlage vieler späterer Entwicklungen war: die Einführung der marktmäßigen und herrschaftsfreien
Gefallen-wollenKommunikation 3
. Sie dürfte maßgeblich verantwortlich sein für eine beschleunigte Evolution, für die Entstehung unserer großen Gehirne und unserer Zivilisation, aber eben auch für eine ungeheure Verschwendung. Und sie stand Modell für unsere modernen Märkte, die so ungeheuerliche Dinge wie Mobiltelefone mit integrierten Videokameras, Rundfunkempfängern und MP3-Playern hervorgebracht haben.
    Doch all das erklärt noch nicht, warum sich etwas in die eine oder andere Richtung oder überhaupt entwickelt. Ist es vielleicht doch die „unsichtbare Hand“, die Adam Smith hinter all dem sah 4 ?
    Das vorliegende Buch zeigt, dass dessen Vorstellung so falsch nicht war. Es erklärt nämlich die biologische, kulturelle, soziale, wissenschaftliche und technische Evolution einheitlich aus einigen wenigen, unter dem Namen
Systemische Evolutionstheorie
zusammengefassten Prinzipien heraus, die in erster Linie auf Systemeigenschaften, namentlich den
Selbsterhaltungs-
und
Reproduktionsinteressen
von Individuen, beruhen. Damit trennt es sich gleichzeitig auch von der in der Biologie aktuell vorherrschenden Vorstellung, Individuen handelten vorrangig im
Eigeninteresse
ihrer Gene, die möglichst lange fortbestehen wollten. Stattdessen stellt es das grundlegende Bestreben von Individuen, sich selbsterhalten und reproduzieren zu wollen, in den Vordergrund 5 .
    Ein Selbsterhalt hat unter anderem auch immer die Erhaltung von Kompetenzen im Umgang mit der primären selektiven Umwelt 6 zum Gegenstand. Solche Kompetenzen beziehungsweise Adaptionen sind aber zu jedem Zeitpunkt stets nur relativ in Bezug auf die Fertigkeiten und Fähigkeiten aller anderen Individuen der gleichen Population, weswegen sie permanent erneuert und gegebenenfalls sogar verbessert werden müssen, wollen sie sich nicht sukzessive selbst entwerten.
    Daraus ergeben sich einige überraschende Konsequenzen:
Beim Prinzip der natürlichen Auslese handelt es sich um kein Basisprinzip des Lebens, sondern um das Ergebnis der Wirkungen grundlegenderer Evolutionsprinzipien, die auf Interessen beruhen.
Anders gesagt: Biologische Populationen evolvieren nicht, weil besser an den Lebensraum angepasste Individuen im Mittel mehr Nachkommen hinterlassen als andere, sondern weil Lebewesen
leben
und
überleben
wollen. Evolution wird somit nicht durch den
Kampf ums Dasein
oder das
Überleben der Tauglichsten
, sondern durch die jeweiligen
Eigeninteressen
von Individuen vorangetrieben.
Die Natur selektiert nicht.
Nur selbsterhaltende, selbstreproduktive Systeme können eigendynamisch evolvieren beziehungsweise „Gegenstand der Selektion“ sein. Gene, Meme, Entscheidungen, Handlungen, Praktiken etc. scheiden dafür aus. Die biologische Evolution wird folglich auch nicht durch egoistische Gene (Dawkins 2007) vorangetrieben.
Bei Unternehmen handelt es sich um Organisationssysteme, die sich fortlaufend um ihren Selbsterhalt bemühen und deshalb auf kompetitiven Märkten dazu gezwungen sind, ihre Adaptionen beziehungsweise Kompetenzen – Produkte und Dienstleistungen – ständig zu aktualisieren, sich also selbst zu reproduzieren. Dies bewirkt dann die „Evolution“ der Technik. Anders gesagt: Nicht die Technik evolviert, sondern die Organisationen, die sie herstellen. Die Evolution der Technik ist nur ein Aspekt der ihr unterliegenden
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