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Sonntags bei Tiffany

Sonntags bei Tiffany

Titel: Sonntags bei Tiffany
Autoren: Patterson James
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abwarten, Kansas zu sehen. Geh jetzt rein, ich hole dich nachher wieder ab. Wie immer.«
    Â»Gut«, sagte sie. »Dann überlegen wir, was wir morgen Abend anziehen.«
    Â»Ja, du kannst mir helfen, mir ein paar schicke Sachen auszusuchen. Damit es dir mit mir nicht peinlich wird.«
    Jane blickte ihm direkt in die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde bekam er eine Ahnung davon, wie sie als Erwachsene aussehen würde – mit ihrem ernsten Gesicht, dem warmen Lächeln, dem intelligenten Blick, der direkt bis in seine Seele vordrang.
    Â»Mit dir wird es mir nie peinlich, Michael.«
    Sie ließ seine Hand los und rannte aufs Schulgebäude zu. Michael blinzelte erst wieder, als ihre blonden Locken hinter der Tür verschwunden waren. Er wartete. Jane spähte noch einmal um die Ecke, wie sie es immer tat. Sie winkte und lächelte, dann verschwand sie endgültig.
    Plötzlich musste Michael wirklich blinzeln. Mehrmals sogar. Er hatte das Gefühl, ein Riese hätte ihm gegen die Brust getreten. Sein Herz tat richtig weh.
    Wie würde er Jane sagen, dass er sie am nächsten Tag verlassen musste?
    Auch das gehörte zu den Pflichten eines imaginären Freundes und war wahrscheinlich die schlimmste.

FÜNF
    D iesen Tag werde ich nie vergessen. Da geht es mir wie einem Menschen, der den Untergang der Titanic überlebt hat und sein Leben lang daran denken wird. Menschen erinnern sich immer an den schlimmsten Tag ihres Lebens. Er wird auf immer ein Teil von ihnen. Genauso erinnere ich mich an meinen neunten Geburtstag mit erschreckender Klarheit.
    Nach der Schule machten Michael und ich uns fertig fürs Theater, wo wir uns zur Premiere von Das Problem mit Kansas auf die VIP-Plätze setzten. Ich hatte Vivienne den ganzen Tag nicht gesehen, sodass sie keine Möglichkeit gehabt hatte, mir zum Geburtstag zu gratulieren. Doch Michael hatte mich mit Blumen von der Schule abgeholt. Wie erwachsen ich mich dadurch gefühlt hatte! Diese pfirsichfarbenen Rosen waren das Schönste, was ich je gesehen hatte.
    An das Stück erinnere ich mich kaum, aber ich weiß, dass die Zuschauer immer an den richtigen Stellen lachten, weinten oder stöhnten. Michael und ich hielten Händchen, in meiner Brust spürte ich ein aufgeregtes Flattern. An diesem Tag sollte es mir richtig gut gehen – endlich war einmal ich an der Reihe. Eine Geburtstagsparty und hoffentlich ein Hund. Michael war bei mir, meine Mutter
würde glücklich sein wegen des Musicals. Alles schien wunderbar, alles möglich zu sein.
    Meine Mutter musste nach der Vorstellung mit der Besetzung auf die Bühne. Sie tat so, als wäre sie schüchtern und schockiert darüber, dass allen ihr neues Stück gefallen hatte. Sie verbeugte sich, und die Zuschauer erhoben sich und klatschten. Auch ich erhob mich und klatschte wie wild. Ich liebte sie so sehr, dass ich es kaum aushielt. Irgendwann würde sie mich genauso lieben, dessen war ich mir sicher.
    Dann war es Zeit für meine Geburtstagsparty bei uns zu Hause. Endlich.
    Die ersten Gäste waren die Tänzer aus dem Musical meiner Mutter. Das hätte ich mir vorher denken können. Tänzer verdienen nicht so viel, und wahrscheinlich starben sie nach der Aufführung beinahe vor Hunger. Im vorderen Flur mit dem weißschwarzen Marmorboden zogen sich gerade ein paar von ihnen die Mäntel von ihren Strichmännchenkörpern. Selbst als Neunjährige wusste ich, dass ich so nie aussehen würde.
    Â»Du musst Viviennes Tochter sein«, sagte eine von ihnen. »Jill, oder?«
    Â»Jane«, korrigierte ich sie, lächelte aber, um zu zeigen, dass ich keine missmutige Göre war.
    Â»Ich wusste nicht, dass Vivienne ein Kind hat«, meldete sich ein anderes Strichmännchen zu Wort. »Hallo, Jane. Du bist ja ein süßer Schlingel.«
    Sie schwebten ins Wohnzimmer, während ich überlegte, ob »Schlingel« und »süß« nicht eher ein Gegensatz waren.

    Â»Heiliger Stephen Sondheim!«, sagte einer der Tänzer. »Ich wusste, Vivienne ist reich, aber diese Wohnung ist größer als das Broadhurst-Theater.«
    Als ich mich wieder umdrehte, hatte ich den Eindruck, als ob sich hundert Leute im Wohnzimmer aufhielten. Ich blickte mich nach Michael um, den ich schließlich in der Nähe des Pianospielers entdeckte.
    Hier ging es zu wie in einer Theaterpause. Das Klavierspiel wurde vom Geplapper übertönt. Neben
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