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Wunder wie diese

Wunder wie diese

Titel: Wunder wie diese
Autoren: Laura Buzo
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    Licht an
    Ich schreibe ein Theaterstück«, sagt Chris und lehnt sich über das Warenband meiner Registrierkasse. »Ich werde es Tod eines Kunden nennen.« Er weist mit dem Kinn in Richtung der Gänge mit den Lebensmitteln, die von grellem Neonlicht ausgeleuchtet sind.
    Ich brauche einen Moment, bis ich die Anspielung kapiere, aber dann fällt es mir ein. Tod eines Handlungsreisenden. Das Stück habe ich letztes Jahr zusammen mit Dad im Theater gesehen.
    »Klingt gut.«
    »Willst du mitspielen?«
    Ich nicke begierig.
    »Cool. Wir gehen nach der Arbeit noch in den Pub, um daran zu arbeiten. Komm doch mit.«
    »Wer…«, kiekse ich. »Wer geht denn alles?«
    »Oh, Ed, Bianca, Donna… die Üblichen eben.«
    Ich bin erst seit drei Wochen fünfzehn, aber nachdem ich vor einem Monat meine Zahnspange losgeworden bin, wäre es für mich wahrscheinlich kein Problem mehr, in den Pub reinzukommen, zumindest vom Aussehen her. Das Problem ist, dass mich mein rasendes Herzklopfen mit Sicherheit an den Türsteher verraten würde, und selbst wenn es das nicht täte und ein Wunder geschähe, graut es mir davor, mit meinen Arbeitskollegen auszugehen. Nur bei Chris ist es was anderes.
    Donna ist ungefähr in meinem Alter, aber sie hat keine Probleme, mit den anderen mitzuhalten. Sie schminkt sich die Augen und ist bei allem sofort mit dabei. Sie trägt wadenhohe schwarze Stiefel mit lila Schnürsenkeln und sie raucht. Ihr Vater hat sie schon mehrfach vor die Tür gesetzt. Sie hat echte Street Cred vorzuweisen. Im Gegensatz zu mir. Ed ist ganz in Ordnung, aber er ist schon achtzehn und die meiste Zeit ziemlich undurchschaubar. Bianca ist dreiundzwanzig und ignoriert mich derart konsequent, dass es nur volle Absicht sein kann. Mit denen geh ich bestimmt nicht in den Pub.
    »Ich kann nicht«, entgegne ich.
    »Warum nicht?«
    »Ich muss noch Hausaufgaben machen.«
    Das ist nicht einmal gelogen. Ich habe in Mathe sowieso schon zu kämpfen. Wenn ich jetzt noch mit den Hausaufgaben hinterherhänge, wird es nur noch schlimmer. Meine Schicht geht bis um neun, und selbst wenn ich gleich danach nach Hause gehe, wird es mindestens zwanzig vor zehn, bis ich zu meinen Hausaufgaben komme.
    Chris verzieht missbilligend das Gesicht. »Na und? Ich muss bis Freitag eine Seminararbeit mit 2000 Wörtern abgeben. Aber man muss doch auch noch leben dürfen.«
    »Ich kann nicht.«
    »Du kannst das doch noch morgen früh machen.«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Ich bring dich anschließend nach Hause. Bis Mitternacht bist du zurück.«
    Jetzt bin ich hin und her gerissen. Wenn ich ihn zwei Stunden mit den anderen teile, hätte ich ihn auf dem Nachhauseweg fünfzehn Minuten ganz für mich allein.
    »Ed hat das Auto von seinen Eltern. Wir können dich direkt vor der Haustür absetzen.«
    Mist. »Ich kann nicht.«
    »Na gut, dann eben nicht«, sagt er und entzieht mich seiner Gegenwart - wie Eltern, die ihrem Kind zur Strafe das Lieblingsspielzeug wegnehmen. Er verdrückt sich in Richtung Delikatessenabteilung, bestimmt um Georgia, »die üppige Blonde aus der Deli-Abteilung«, zu fragen, ob sie mit in den Pub kommt und an seinem dramaturgischen Meisterwerk mitarbeiten will.
    Wie der Name, den Chris ihr gegeben hat, vermuten lässt, ist Georgia in der Tat blond, hat einen großen Busen und kriegt es hin, selbst in dem weißen Kittel der Delikatessen-Abteilung sexy auszusehen. Mein Anlass zur Eifersucht begründet sich aber eher daraus, dass sie mit achtzehn Jahren drei Jahre näher an Chris ist.
    »Unfair«, murmle ich, als er aus meinem Blickfeld verschwindet.
    Im Land der Träume
    Bei Chris heißt der Woolworth, wo wir arbeiten, nicht einfach Woolworth. Er nennt ihn »Land der Träume«. Abends und an den Wochenenden arbeiten meist nur Aushilfen im Land der Träume. Das sind fast ausnahmslos Schüler (Street-Cred-Donna, ich und noch ein paar andere gehen auf die öffentlichen Schulen in der Gegend), Studenten (Chris, Kathy, Celene, Stuart) und ein paar sogenannte »junge Leute«, die sich noch nicht im Klaren darüber sind, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen wollen, und die, während sie das herausfinden, bei Woolies arbeiten (Ed, Bianca, Andy).
    Wenn ich allerdings genauer darüber nachdenke, ist das vielleicht nur meine Interpretation. Ich habe nämlich noch nie erlebt, dass sich Ed, Bianca oder Andy um das Geheimnis ihres Daseins oder ihren Platz auf dieser Welt scheren. Sie sind einfach da. Ed, um Geld zu
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