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Wunder wie diese

Wunder wie diese

Titel: Wunder wie diese
Autoren: Laura Buzo
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möglich waren. Nachdem die Schul- und Semesterferien angefangen hatten, passierte es ziemlich oft, dass wir gemeinsam eingeteilt waren. Das Flattern in meiner Brust war so heftig, als wollten mir die Rippen bersten.
    Der letzte Sargnagel für mein seelisches Gleichgewicht kam eines Nachmittags kurz vor Feierabend. Chris lehnte an meiner Kasse und quatschte mit mir. Ich glaube, es ging um gesellschaftliche Hierarchien an der Highschool im Vergleich zu gesellschaftlichen Hierarchien an der Uni.
    »Ich sag ja nicht, dass schöne Menschen kein Anrecht auf Leben haben«, höre ich mich noch sagen. »Ich sage gar nicht, dass man sie einfangen und auf einer einsamen Insel aussetzen sollte. Ich meine nur, man kann ihnen nicht trauen, weil sie einfach keine Ahnung davon haben, wie es ist, nicht schön zu sein, und sie werden immer das Schönsein im Kreise anderer Schönheiten vorziehen.«
    »Du meinst also, dass jeder seinen Platz einnehmen und damit zufrieden sein und es nicht darauf anlegen sollte, darüber hinaus noch andere Gruppen um sich zu scharen?«
    Bianca (die den Kundendienst leitete und damit in dieser Schicht unsere Chefin war) rückte gerade die rote Fliege eines der besser aussehenden jungen Kassierer zurecht und blaffte Chris dabei vom Service-Schalter aus an: »Chris! Zurück an die Arbeit!«
    Er setzte sich nicht sofort in Bewegung. Er sah mir tief in die Augen, sodass der Sargnagel seine Wirkung nicht verfehlen konnte, und dann sagte er: »Du bist einfach echt, Kleine. Ich hoffe, du wirst dich nie ändern.« Dann ging er wieder an seine Kasse.
    Ich weiß, was ein Kompliment ist, wenn ich eins höre, selbst wenn ich nicht immer vollständig begreife, worum es geht. Aber dieser letzte Nagel saß fest, mit einem einzigen, kräftigen Schlag.
    An einem Januarnachmittag sitze ich mit meiner kleinen Schwester Jess auf dem Sofa. Wir sehen fern. Sie ist drei Jahre alt und sie kuschelt sich gern beim Fernsehen an mich. Also gut, ich geb’s ja zu – ich bin diejenige, die sich beim Fernsehen gern an sie kuschelt. Wir schauen Play School. Außer dass ich mir Gedanken mache, was mit Hamble, der Puppe, die gar nicht mehr mitspielt, passiert sein könnte, kriege ich nicht viel mit. Ich grüble über die letzten paar Wochen auf der Arbeit nach, insbesondere über Chris, als es mir plötzlich sonnenklar wird: Das Dröhnen im meinem Kopf hört abrupt auf, die Nebelschleier lichten sich und enthüllen drei Worte, die groß und unumstößlich stehen bleiben:
    Ich liebe Chris.
    Mein Magen revoltiert sofort. Ich sitze noch lange so da und sinniere vor mich hin, während Jess die ganzen nachfolgenden Sendungen für größere Kinder sieht und es immer später wird. Irgendwann kommt mein Vater herein und mischt sich und meiner Mutter einen Whisky Soda. Whisky Soda ist das Signal für mich, dass es 18 Uhr ist und damit Zeit, den Tisch fürs Abendessen zu decken – verliebt oder nicht.
    Der Kathy-Virus und andere Absonderlichkeiten
    Sich vom Firmensteg aus einen angeln«, wie es Chris bezeichnet, ist eine weit verbreitete Praktik unter den Aushilfskräften bei Woolworth. Bianca beispielsweise ist dreiundzwanzig und trifft sich seit ein paar Monaten mit Andy, achtzehn, aus der Lebensmittelabteilung – zusätzlich zu ihrem Hobby, dem Fliegenzurechtrücken bei den Arbeitskollegen, dem sie regelmäßig frönt. Wie schon erwähnt ist Andy ein ziemlich Ruhiger. Ich könnte mir vorstellen, dass er einfach macht, was man ihm sagt. Wahrscheinlich kommen sie beide auf ihre Kosten bei dieser Beziehung, ich kann mir bloß nicht vorstellen, wie sie das tun.
    »Sex«, erklärt mir Chris. »Beide haben Sex davon.«
    Viele der jüngeren Mädchen sind in Ed verliebt, der zugegebenermaßen ganz gut aussieht. Außerdem ist er ziemlich unnahbar, was seine Attraktivität noch erhöht. Schade nur für die armen Mädchen, dass er meistens viel zu bekifft ist, um aus ihren Aufmerksamkeiten Vorteile zu ziehen. Man sieht Chris öfter mal, wie er sich über die Theke des Service-Schalters lehnt und ihm ins Gewissen redet: »Sei ein Mann, halt dich ran, Edward!«, und Ähnliches.
    Der Sechs-Jahre-Altersunterschied, der zwischen mir und Chris klafft, ist nicht das einzige Haar in der Verliebt-in-Chris-Suppe. Ich bin mir noch nicht mal im Klaren darüber, was es bedeuten würde, wenn ich ihn bekäme, aber eines weiß ich ganz genau: Ich will ihn. Ich will, dass er mich in seine Arme schließt, will ihn besitzen. Will zu jeder Zeit uneingeschränkten und
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