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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste
Autoren: John Grisham
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John Grisham
    Die Liste
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    Mississippi, 1970: Die Zeitung ›Ford County Times‹ steht vor dem Ende. Zur Überraschung und Verärgerung vieler wird das, was noch von dem Unternehmen übrig ist, von einem gescheiterten 23-jährigen Studenten namens Willie Traynor übernommen. Die Geschäfte gehen weiter miserabel, bis eine junge Mutter von einem Mitglied der berüchtigten Padgitt-Familie vergewaltigt und ermordet wird. Die
    ›Times‹ hat schreckliches Exklusivmaterial über die Tat, und der Verkauf der Zeitung steigt rapide an. Der Mörder Danny Padgitt wird gefasst und in Clanton, Mississippi, vor Gericht gestellt. Der Prozess endet dramatisch: Der Verurteilte bedroht in aller Öffentlichkeit das Leben der Geschworenen und schwört blutige Rache.
    ISBN: 3-453-87834-5
    Original: The Last Juror
    Aus dem Amerikanischen von Dr. Bernhard Liesen, Bea Reiter Verlag: Wilhelm Heyne Verlag, München Erscheinungsjahr: 2004

    Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

    TEIL I
    1
    ach Jahrzehnten des Missmanagements und der N liebevollen Vernachlässigung war die Ford County Times 1970 finanziell am Ende. Die Eigentümerin und Herausgeberin der Zeitung, Miss Emma Caudle, war dreiundneunzig Jahre alt und in einem Pflegeheim in Tupelo im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt.
    Der Chefredakteur, ihr Sohn Wilson Caudle, hatte die siebzig schon überschritten und als Erinnerung an den Ersten Weltkrieg eine Metallplatte im Kopf zurück-behalten. Oben auf seiner hohen, fliehenden Stirn, wo der Chirurg sie eingesetzt hatte, prangte ein kreisrundes, dunkleres Stück transplantierter Haut. Diesem Fleck verdankte es Mr Caudle, dass er seither den Spitznamen
    »Spot« ertragen musste: Spot hat dies getan, Spot hat das getan. Spot hier, Spot da.
    In jüngeren Jahren hatte er als Journalist über Gemeindeversammlungen, Footballspiele, Wahlen, Gerichtsverfahren, kirchliche Veranstaltungen und alle möglichen anderen Ereignisse in Ford County berichtet. Er war ein guter Reporter, gründlich und besaß eine schnelle Auffassungsgabe. Offensichtlich hatte die Kopfverletzung sein journalistisches Talent nicht in Mitleidenschaft gezogen. Doch irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Metallplatte in seinem Kopf augenscheinlich etwas gelockert, und Mr Caudle beschloss, sich exklusiv 2

    dem Schreiben von Nachrufen zu widmen. Er liebte Nachrufe. Stundenlang beschäftigte er sich damit, noch das unbedeutendste Mitglied der Gesellschaft von Ford County mit einem ausführlichen, in schwungvoller Prosa abgefassten Nekrolog zu ehren. Starb gar ein wohlhabender oder prominenter Mitbürger, nutzte Mr Caudle die Gunst der Stunde und hievte den Nachruf auf die Titelseite. Nie verpasste er eine Totenwache oder eine Beerdigung, kein einziges Mal ließ er auch nur ein schlechtes Wort über den Verblichenen fallen. Auf den posthumen Glorienschein musste niemand verzichten –
    Ford County war ein idealer Platz zum Sterben. Und Spot, wenngleich verrückt, ein äußerst beliebter Mann.
    Die einzige wirkliche Krise seiner journalistischen Laufbahn ereignete sich im Jahr 1967, ungefähr zu der Zeit, als sich die Bürgerrechtsbewegung schließlich auch in Ford County bemerkbar machte. Bisher hätte man der Zeitung nicht einmal ansatzweise entnehmen können, dass sie um Toleranz in Rassenfragen bemüht gewesen wäre.
    Schwarze Gesichter, von Verbrecher- oder Fahndungs-fotos abgesehen, suchte man auf ihren Seiten vergebens.
    Heiratsanzeigen von Schwarzen, herausragende schwarze Studenten, schwarze Baseballteams – Fehlanzeige. Doch im Jahr 1967 machte Mr Caudle eine bestürzende Entdeckung. Eines Morgens ging ihm mit dem Erwachen ein Licht auf: In Ford County starben Schwarze, ohne dass sie angemessen gewürdigt worden wären. Für einen Verfasser von Nachrufen war damit ein ganz neues, fruchtbares Feld zu bestellen, und Mr Caudle machte sich auf in die gefährlichen, unbekannten Gewässer. Am Mittwoch, dem 8. März 1967, brachte die Ford County Times als erste weiße Wochenzeitung in Mississippi die posthume Würdigung eines Schwarzen, doch der Nachruf blieb weitgehend unbeachtet.

    3

    In der folgenden Woche legte Mr Caudle mit drei Abgesängen auf verstorbene Schwarze nach. Die Leute begannen zu reden, und in der vierten Woche sah er sich einem regelrechten Boykott ausgesetzt. Abonnenten kündigten, Anzeigenkunden zahlten nicht. Mr Caudle schätzte die Situation zwar richtig ein, war aber schon zu sehr in seine
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