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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste
Autoren: John Grisham
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seit Jahren hinter sich gelassen, und ihr schwaches Herz funktionierte gerade noch gut genug, um die Beerdigung ein bisschen hinauszuschieben.
    Sie wusste nicht mehr, welche Farbe der Wackelpudding hatte, mit dem man sie fütterte, und es war ihr auch egal, 6

    und das Schicksal von Ford County und seiner Zeitung war ihr mit Sicherheit genauso egal. Sie war blind und taub, wog deutlich unter vierzig Kilogramm, und jetzt kam Spot auf die Idee, mit ihr über einen unfreiwilligen Konkurs zu sprechen. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass auch er schon nicht mehr in unserer Welt lebte.
    Er begann erneut zu weinen und verließ das Büro.
    Wenige Monate später sollte ich seinen Nachruf schreiben.
    Weil ich das College besucht und die Papiere an mich genommen hatte, erhofften Margaret und Hardy von mir guten Rat. Ich war Journalist, kein Jurist, sagte aber zu, mit den Unterlagen den Familienanwalt der Caudles aufzusuchen. Seinen Rat würden wir dann beherzigen. Sie bedachten mich mit einem matten Lächeln und machten sich wieder an die Arbeit.
    Mittags fuhr ich nach Lowtown – das schwarze Viertel von Clanton – und kaufte bei Quincy’s One Stop ein Sixpack. Anschließend machte ich mit meinem Spitfire einen Ausflug. Es war Ende Februar und für die Jahreszeit ungewöhnlich warm. Ich zog das Verdeck auf und fuhr zum See. Unterwegs fragte ich mich, nicht zum ersten Mal, was ich in Mississippi und Ford County eigentlich verloren hatte.

    Ich war in Memphis aufgewachsen und hatte fünf Jahre lang in Syracuse im Staat New York Publizistik studiert, bevor meine Großmutter es satt hatte, für eine Ausbildung zu zahlen, die für ihren Geschmack zu lange dauerte.
    Meine Noten waren alles anderes als spektakulär, und von einem Examen trennten mich noch zwölf Monate, vielleicht auch achtzehn. Meine Großmutter BeeBee hatte jede Menge Geld, gab es aber nur äußerst ungern aus, und nach fünf Jahren kam sie zu der Ansicht, ich hätte meine 7

    Chance gehabt und sie mich ausreichend gefördert. Als sie mir die Unterstützung strich, war ich sehr enttäuscht, beklagte mich aber nicht. Ich war ihr einziger Enkel und sah meinem Erbe voller Vorfreude entgegen.
    Von den Idealen, mit denen ich mein Studium in Syracuse begonnen hatte, war nicht viel übrig geblieben.
    In den unteren Semestern bewunderte ich den investigativen Journalismus und sah mich schon als Reporter der New York Times oder der Washington Post.
    Ich wollte die Welt retten, Korruptionsskandale, Umweltsünden und Steuerverschwendung aufdecken. Die Ungerechtigkeit anklagen, unter der die Schwachen und Unterdrückten zu leiden hatten. Pulitzerpreise waren nur eine Frage der Zeit. Nachdem ich mich ungefähr ein Jahr lang diesen abgehobenen Träumereien hingegeben hatte, sah ich einen Film über einen Auslandskorrespondenten, der als Kriegsberichterstatter um die Welt jettete, wunderschöne Frauen verführte und trotzdem irgendwie noch Zeit fand, preisgekrönte Artikel zu Papier zu bringen.
    Er beherrschte acht Sprachen, hatte einen Bart, trug Kampfstiefel und gestärkte Khakihosen, die offenbar knitterfrei waren. Ich beschloss, sein Kollege zu werden, ließ mir einen Bart stehen, kaufte mir Kampfstiefel und Khakihosen und versuchte, mir Deutsch beizubringen und bei hübschen Frauen zu punkten. Im vorletzten Studienjahr, als meine Noten ständig schlechter wurden, begann ich mich für die Idee zu begeistern, Journalist bei einer Kleinstadtzeitung zu werden. Die Faszination, die dieser Job auf mich ausübte, kann ich nur so erklären, dass ich mich ungefähr zu dieser Zeit mit Nick Diener anfreundete. Er stammte aus dem ländlichen Indiana, wo seine Familie seit Jahrzehnten eine einigermaßen gut florierende Zeitung besaß. Nick fuhr einen coolen kleinen Alfa Romeo und hatte immer reichlich Bargeld. Bald 8

    waren wir enge Freunde.
    Nick war ein intelligenter Student und hätte genauso gut Arzt, Jurist oder Ingenieur werden können. Trotzdem kannte er nur ein Ziel. Er wollte nach Indiana zurückkehren und den Familienbetrieb übernehmen. Ich war verblüfft. Zumindest so lange, bis wir uns eines Abends gemeinsam betranken und er mir erzählte, wie viel Profit die kleine Wochenzeitung mit einer Auflage von sechstausend Exemplaren jährlich für seinen Vater abwarf.
    Laut Nick war das Geschäft eine Goldgrube. Nur Lokalnachrichten, Heiratsannoncen, kirchliche Veranstaltungen, Jubiläen, Sportberichte, Fotos von Basketballteams, ein paar Rezepte, ein paar Nachrufe und ein
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