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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste
Autoren: John Grisham
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nicht genau, was ich von ihm erwartete, aber er hatte einen Fehler gemacht und sollte ihn jetzt bitte auch wieder ausbügeln. Ich spazierte in die Redaktionsbüros der Times und stolperte über Davey Bigmouth Bass, den Sportredakteur des Blatts. »Hey, cooler Name«, sagte er.
    11

    Ich begleitete ihn in sein Büro, um seinen Rat einzuholen.
    »Ich heiße nicht Willie«, sagte ich.
    »Jetzt schon.«
    »Mein Name ist Will.«
    »Die Leute hier lieben Sie. Ein cleverer Kerl aus dem Norden mit langen Haaren und einem importierten Sportschlitten. Teufel, mit einem Namen wie Willie wird man für cool gehalten. Denken Sie an Joe Willie.«
    »Wer ist Joe Willie?«
    »Joe Willie Namath.«
    »Ach der.«
    »Er ist auch aus dem Norden, genau wie Sie, aus Pennsylvania oder sonst wo, aber als er nach Alabama kam, wurde aus Joseph William Joe Willie. Die Frauen haben ihn gar nicht mehr in Ruhe gelassen.«
    Allmählich fühlte ich mich etwas besser. Im Jahr 1970
    war Joe Namath wahrscheinlich der berühmteste Sportler im ganzen Land. Ich machte eine Spazierfahrt und murmelte immer wieder »Willie« vor mich hin. Innerhalb von ein paar Wochen hatte sich der Name bei den Leuten festgesetzt. Alle nannten mich Willie und schienen glücklich zu sein, dass ich einen so bodenständigen Namen hatte.
    BeeBee erzählte ich, er sei nur ein vorübergehend benutztes Pseudonym.

    Die Ford County Times war eine sehr dünne Zeitung, und ich wusste sofort, dass sie Probleme hatte. Jede Menge Nachrufe, aber wenig Nachrichten und Anzeigen. Die Angestellten waren verärgert, hielten jedoch den Mund und zeigten sich loyal. 1970 waren Jobs in Ford County Mangelware. Nach einer Woche konnte selbst ein Neuling 12

    nicht mehr übersehen, dass die Zeitung Verluste machte.
    Im Gegensatz zu Anzeigen brachten Nachrufe kein Geld.
    Spot verbrachte den größten Teil seiner Zeit in seinem voll gestopften Büro. Wenn er nicht gerade ein Nickerchen hielt, rief er im Bestattungsinstitut an. Gelegentlich meldete sich der Bestatter auch bei ihm. Manchmal lieferten Familienmitglieder nur Stunden nach dem letzten Atemzug irgendeines Onkel Wilber eine lange, blumig geschriebene, handschriftliche Rohfassung eines Nachrufs ab, die Spot dann an seinem Schreibtisch hinter verschlossenen Türen so lange umschrieb, bearbeitete und ergänzte, bis ein perfekter Nekrolog daraus geworden war.
    Er erklärte mir, mein Arbeitsgebiet sei das gesamte County. Das Blatt hatte noch einen anderen Reporter für allgemeine Themen – Baggy Suggs, ein dem Alkohol zugetaner alter Knabe –, doch der hing meistens auf der anderen Seite des Platzes vor oder in dem Gerichtsgebäude herum, wo er Gerüchte aufzuschnappen versuchte und mit einem kleinen Kreis heruntergekommener Anwälte Bourbon trank, die viel zu alkoholisiert waren, als dass sie ihrem Beruf noch hätten nachgehen können.
    Schon bald stellte ich fest, dass Baggy zu faul war, um zu recherchieren und nach interessanten Geschichten zu suchen. Daher war es nichts Ungewöhnliches, wenn seine Titelgeschichten von so langweiligen Dingen wie Landstreitigkeiten oder verprügelten Ehefrauen handelten.
    Margaret, unsere gutherzige, christlich gesonnene Sekretärin, schmiss praktisch den ganzen Laden, aber sie war clever genug, Spot in dem Glauben zu lassen, er wäre der Boss. Sie war Anfang fünfzig, arbeitete bereits seit zwanzig Jahren für die Times und war deren Seele. Alles drehte sich um sie. Margaret war eine stille Frau mit leiser Stimme, die von meinem ersten Arbeitstag an völlig eingeschüchtert war, weil ich aus Memphis kam und fünf 13

    Jahre lang ein College im Norden besucht hatte. Ich gab mir alle Mühe, den ehemaligen Studenten der Eliteuniversität nicht allzu sehr heraushängen zu lassen, aber zugleich wollte ich durchaus, dass diese Provinzler aus Mississippi von meiner erstklassigen Ausbildung wussten.
    Wir begannen, miteinander zu plaudern, und nach einer Woche bestätigte sie, was ich ohnehin vermutet hatte – Mr Caudle war verrückt und die Zeitung in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten. Aber, fügte sie hinzu, die Caudles hätten ja Familienvermögen.
    Es sollte Jahre dauern, bis ich dieses Mysterium begriff.
    In Mississippi durfte man Familienvermögen nicht mit Reichtum verwechseln. Es hatte nichts mit flüssigem Geld oder irgendwelchen Anlagen zu tun. Familienvermögen war ein gesellschaftlicher Status und »gehörte« immer einem weißen Bürger, der etwas mehr als den Besuch einer Highschool vorzuweisen
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