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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste
Autoren: John Grisham
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Rolle als Vorkämpfer der Gleichberechtigung Schwarzer vernarrt, um sich noch über Bagatellen wie Auflage und Gewinne Gedanken zu machen. Sechs Wochen nach dem historischen Nekrolog erklärte er der Öffentlichkeit seine neue Strategie, auf der Titelseite und in Fettdruck: Er werde nur noch veröffentlichen, was ihm gefalle, und falls das irgendwelchen Weißen nicht in den Kram passe, werde er kurzerhand die Zahl der ihnen gewidmeten Nachrufe zurückfahren.
    Ein würdiger Abgang ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens in Mississippi, für Schwarze und Weiße, und der bloße Gedanke, ohne einen von Spots ruhmreichen Nekrologen zur letzten Ruhe gebettet zu werden, war für die meisten Weißen unerträglich. Sie wussten, dass er verrückt genug war, seine Drohung wahr werden zu lassen.
    In der nächsten Ausgabe fanden sich, unter Aufhebung der Rassentrennung, ordentlich alphabetisch geordnet, Nachrufe auf Schwarze und Weiße. Die Auflage war bald ausverkauft, und für die Ford County Times folgte eine kurze Phase der Prosperität.
    Der Bankrott wurde »unfreiwilliger Konkurs« genannt, als gäbe es andere Formen der Pleite, die man bevorzugte.
    Die Meute der Gläubiger wurde von einem Geschäft für Druckereibedarf aus Memphis angeführt, das Außenstände von sechzigtausend Dollar geltend machen konnte. Andere hatten seit einem halben Jahr kein Geld mehr gesehen. Die gute alte Security Bank forderte einen Kredit zurück.

    4

    Obwohl ich noch nicht lange bei der Zeitung arbeitete, hatte ich schon Gerüchte gehört. Ich saß im vorderen Büro der Redaktion und las gerade eine Illustrierte, als ein Zwerg mit spitzen Schuhen hereinspaziert kam und nach Wilson Caudle fragte.
    »Ist im Bestattungsinstitut«, erwiderte ich.
    Er war ein großspuriger Wicht. Unter seinem zerknitterten marineblauen Blazer konnte man eine Waffe erkennen, die offenbar auch gesehen werden sollte.
    Wahrscheinlich hatte er sogar einen Waffenschein. Doch eigentlich brauchte man den in Ford County nicht, zumindest nicht im Jahr 1970. Tatsächlich lösten Waffenscheine eher ein Stirnrunzeln aus. »Ich muss ihm diese Papiere zustellen«, sagte der Zwerg und fuchtelte mit einem Umschlag herum.
    Eigentlich hatte ich nicht vor, mich hilfsbereit zu zeigen, aber es ist schwierig, einem Zwerg gegenüber ruppig zu werden. Selbst wenn er bewaffnet ist. »Er ist im Bestattungsinstitut«, wiederholte ich.
    »Dann lasse ich sie Ihnen hier.«
    Obwohl ich an einem College im Norden studiert hatte und noch keine zwei Monate bei der Times war, hatte ich doch schon ein paar Dinge gelernt. So etwa, dass gute Nachrichten nie persönlich zugestellt, sondern in der Regel mit der Post befördert wurden. Diese Papiere bedeuteten Ärger, und ich wollte nichts damit zu tun haben.
    »Ich nehme sie nicht an«, sagte ich.
    Der Natur gehorchend, verhalten sich Zwerge als ge-lehrige, friedliebende Wesen, und dieser Winzling machte keine Ausnahme. Die Waffe diente nur dekorativen Zwecken. Er blickte sich mit einem affektierten Grinsen im Büro um, wusste aber, dass die Situation hoffnungslos 5

    war. Also ließ er den Umschlag mit einer übertrieben schwungvollen Bewegung in der Tasche seines Jacketts verschwinden.
    »Wo ist das Bestattungsinstitut?«
    Ich beschrieb ihm den Weg, und der Zwerg verschwand.
    Eine Stunde später stolperte Spot durch die Tür, hysterisch schreiend und mit den Papieren herumfuchtelnd. »Es ist vorbei! Das war’s!« Während er weiterjammerte, nahm ich ihm die Dokumente aus der Hand – es war ein Konkursantrag der Gläubiger. Margaret Wright, die Sekretärin, und Hardy, der Drucker, kamen nach vorn und versuchten, Spot zu trösten. Er setzte sich auf einen Stuhl, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen, und schluchzte mitleiderregend. Ich las den Konkursantrag laut vor.
    Darin stand, Mr Caudle habe in einer Woche in Oxford vor Gericht zu erscheinen, um sich mit dem Richter und seinen Gläubigern zu treffen. Dort solle entschieden werden, ob die Zeitung weiter erscheinen könne, während ein Treuhänder die Lage zu klären versuche. Ich hatte den Eindruck, dass Margaret und Hardy sich eher um ihre Jobs als um Mr Caudle und seinen Nervenzusammenbruch Sorgen machten, aber sie klopften ihm trotzdem tapfer auf die Schulter.
    Als der Weinkrampf vorbei war, stand Spot abrupt auf und biss sich auf die Unterlippe. »Ich muss es meiner Mutter sagen«, meinte er.
    Wir anderen drei blickten uns an. Miss Emma Caudle hatte dieses Leben schon
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