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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste
Autoren: John Grisham
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Mr Sullivan, der das Geld auf ein Treuhandkonto einzahlte und bei Gericht einen Antrag auf den Verkauf der Zeitung stellte. Der altersschwache Richter, der eigentlich in das Bett neben Miss Emma gehört hätte, nickte gütig und kritzelte seinen Namen unter einen Gerichtsbeschluss, durch den ich zum neuen Eigentümer der Ford County Times wurde.
    Bis man in Ford County wirklich akzeptiert wird, dauert es mindestens drei Generationen. Geld und gesellschaftliche Herkunft spielen dabei keine Rolle. Man kann nicht einfach dorthin ziehen und mit Vertrauen rechnen. Über jedem Neuankömmling schwebt eine dunkle Wolke des Misstrauens, und ich bildete da keine Ausnahme. Die Bevölkerung ist außergewöhnlich warmherzig, gütig und höflich, was fast so weit geht, dass ihre Freundlichkeit an Schnüffelei grenzt. Die Leute nicken einem auf der Straße zu, unterhalten sich mit einem, fragen nach der Gesundheit, plaudern über das Wetter und laden einen zum gemeinsamen Kirchgang ein. Sie stürzen geradezu herbei, um Fremden zu helfen.
    Doch echtes Vertrauen werden sie nur dem schenken, dessen Großvater sie schon vertraut haben.
    Als sich die Nachricht herumsprach, dass ich, ein Grünschnabel aus Memphis, also gleichsam von einem anderen Stern, die Zeitung für fünfzigtausend Dollar gekauft hatte – manche sprachen auch von hundert- oder zweihunderttausend –, ergoss sich eine Riesenlawine von Tratsch über die Stadt. Margaret hielt mich auf dem Laufenden. Weil ich als Single lebte, konnte ich durchaus homosexuell sein. Da ich in Syracuse studiert hatte – wo 17

    immer das auch liegen mochte –, war ich wahrscheinlich Kommunist. Oder, noch schlimmer, ein Liberaler. Und da ich aus Memphis stammte, war ich bestimmt ein Subversiver, der Ford County schlecht machen wollte.
    Wie auch immer, die Leute mussten sich eingestehen, dass ich jetzt der Herr über die Nachrufe war. Ich war jemand.
    Die neue Times erschien erstmals am 18. März 1970, nur drei Wochen, nachdem der Zwerg mit den Papieren aufgetaucht war. Die Ausgabe war fast drei Zentimeter dick und präsentierte mehr Fotos, als je in einer Provinzwochenzeitung erschienen waren. Fotos von Jung-pfadfindern, Highschool-Basketballteams, Gartenklubs, Buchklubs, Teeklubs, Bibelgruppen, Softballteams, Bürgerversammlungen. Dutzende Fotos. Ich versuchte, jede lebende Seele aus dem ganzen County irgendwie ins Blatt zu bringen, und die Toten wurden besungen wie nie zuvor.
    Die Nachrufe waren beschämend lang. Ich war mir sicher, dass Spot stolz sein musste, hörte aber nie etwas von ihm.
    Die Nachrichten waren seicht und oberflächlich, Leitartikel tabu. Da die Leute immer gern Storys über Verbrechen lasen, hatte ich in der linken unteren Ecke der Titelseite eigens Platz für eine spezielle Rubrik reserviert.
    Glücklicherweise waren in der Vorwoche zwei Kleinlaster geklaut worden, und ich präsentierte die Story, als wäre Fort Knox geplündert worden.
    Mitten auf der Titelseite prangte ein Gruppenfoto der neuen Mannschaft – es zeigte Margaret, Hardy, Baggy Suggs, mich, unseren Fotografen Wiley Meek, Davey Bigmouth Bass und Melanie Dogan, eine Teilzeit-angestellte, die noch auf die Highschool ging. Ich war 18

    stolz auf mein Team. Zehn Tage hatten wir rund um die Uhr gearbeitet, und unsere erste Ausgabe war ein durchschlagender Erfolg. Die Auflage von fünftausend Exemplaren war bald ausverkauft. Ich schickte BeeBee einen ganzen Karton voll. Sie war äußerst beeindruckt.
    Im Verlauf des nächsten Monats nahm die neue Times allmählich Gestalt an, doch ich zerbrach mir noch immer den Kopf darüber, wie sie letztendlich aussehen sollte.
    Veränderungen sind im ländlichen Mississippi nur schwer durchzusetzen, sodass ich mich für ein behutsames Vorgehen entschied. Die alte Times war tot, aber das Blatt hatte sich in fünfzig Jahren kaum verändert. Ich schrieb mehr Nachrichtenbeiträge, verkaufte mehr Anzeigenraum und veröffentlichte immer mehr Fotos von allen nur denkbaren Grüppchen und Klubs. Besonders hart arbeitete ich an den Nachrufen.
    Ich war nie ein großer Freund von Überstunden gewesen, doch jetzt, als Eigentümer der Zeitung, vergaß ich die Uhrzeit. Ich war zu jung und zu beschäftigt, um ängstlich zu sein. Mit dreiundzwanzig war ich durch Glück, günstiges Timing und eine reiche Großmutter urplötzlich zum Inhaber einer Wochenzeitung geworden.
    Hätte ich innegehalten und die Lage analysiert, den Rat von Banken und Buchhaltern eingeholt, dann, da bin ich mir
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