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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste
Autoren: John Grisham
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hatte und in einem großen Haus mit Vorderveranda aufgewachsen war, am besten inmitten von Baumwoll- oder Sojabohnenfeldern, wenngleich das keine zwingende Voraussetzung war. Er war auf der einen Seite von einem innig geschätzten schwarzen Dienstmädchen namens Bessie oder Pearl erzogen worden, auf der anderen von abgöttisch geliebten Großeltern, die einst die Sklavenhalter von Bessie oder Pearl gewesen waren und ihrem Enkel die natürlichen Privilegien einer Geburt von Stand einimpften. Landbesitz und Treuhandvermögen konnten hilfreich sein, aber in Mississippi gab es jede Menge zahlungsunfähige Privilegierte, die trotzdem den Status geerbt hatten, der sich mit dem Begriff Familienvermögen verband. Man konnte es nicht verdienen. Es musste einem in die Wiege gelegt worden sein.
    Als ich mit dem Anwalt der Familie Caudle sprach, wurde ich in ziemlich rohen Worten über den wahren 14

    Wert dieses Familienvermögens unterrichtet. »Sie sind arm wie die Kirchenmäuse«, sagte er, während ich in einem ramponierten Ledersessel versank und ihn über seinen großen, uralten Mahagonischreibtisch hinweg anblickte. Das war also Walter Sullivan von der renommierten Kanzlei Sullivan & O’Hara. Renommiert nach den in Ford County gültigen Maßstäben – sieben Anwälte. Er studierte den Konkursantrag und schwadronierte über die Caudles, ihr einstiges Vermögen und darüber, wie dumm man sein müsse, um eine einstmals profitable Zeitung so herunterzuwirtschaften. Er vertrat die Familie schon seit dreißig Jahren. Damals, als Miss Emma noch das Ruder in der Hand gehabt hatte, konnte die Times fünftausend Abonnenten und eine lange Liste mit Anzeigenkunden vorweisen. Zu dieser Zeit hatte Miss Emma bei der Security Bank verbriefte Bankein-lagen im Wert von fünfhunderttausend Dollar. Nur für den Fall, dass mal schlechte Zeiten kommen sollten.
    Dann starb ihr Mann, und sie heiratete einen zwanzig Jahre jüngeren Alkoholiker. Nüchtern war er halbgebildet, aber er sah sich selbst als an der Welt leidenden Dichter und Essayisten. Miss Emma liebte ihn und installierte ihn neben ihrem Sohn als zweiten Chefredakteur. Er nutzte diese Stellung, um in ellenlangen Leitartikeln mit Wörtern auf alles zu schießen, was sich in Ford County bewegte.
    Das war der Anfang vom Ende. Spot hasste seinen Stiefvater, und die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit.
    Ihre Beziehung fand schließlich mit einer der spektakuläreren Prügeleien in der Geschichte Clantons in Anwesenheit einer großen, verblüfften Menge ihren Höhepunkt – und ihr Ende. Die Einwohner glaubten, dass Spots ohnehin bedenklicher Geisteszustand an diesem Tag weiteren Schaden genommen hatte. Kurz danach begann er, sich ganz auf die Nachrufe zu kaprizieren.
    15

    Der Stiefvater verschwand mit dem Geld, und Miss Emma zog sich mit gebrochenem Herzen ins Einsiedlerdasein zurück.
    »Es war einmal eine gute Zeitung«, sagte Mr Sullivan.
    »Aber schauen Sie sich an, was daraus geworden ist.
    Keine zwölfhundert Abonnenten mehr, jede Menge Schulden. Pleite.«
    »Was wird das Gericht tun?«, fragte ich.
    »Einen Käufer suchen.«
    »Einen Käufer?«
    »Ja, irgendjemand wird die Times übernehmen. Es muss schließlich eine Zeitung im County geben.«
    Auf Anhieb fielen mir zwei Kandidaten ein – Nick Diener und BeeBee. Nicks Familie war durch ihre Provinzzeitung reich geworden. BeeBee hatte jede Menge Geld und nur einen innig geliebten Enkel. Ich witterte meine Chance, und mein Herzschlag beschleunigte sich.
    Mr Sullivan betrachtete mich eingehend, und es war unübersehbar, dass er meine Gedanken erriet. »Sie wäre für ein Butterbrot zu haben«, sagte er.
    »Für wie viel?«, fragte ich mit dem geballten Selbst-bewusstsein eines dreiundzwanzigjährigen, unerfahrenen Reporters, der eine stinkreiche Großmutter hatte.
    »Wahrscheinlich für fünfzigtausend. Fünfundzwanzig für die Zeitung, die andere Hälfte, damit Sie arbeiten können. Über einen Großteil der Schulden kann nach einer Insolvenzerklärung mit den Geldgebern, die Sie brauchen, neu verhandelt werden.« Er schwieg kurz, beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch. Seine dichten grauen Augenbrauen zuckten, als würde sein Gehirn gerade Überstunden machen. »Das Blatt könnte eine wahre Goldmine sein.«
    16

    BeeBee hatte noch nie in eine Goldmine investiert, aber nachdem ich sie drei Tage lang bearbeitet hatte, verließ ich Memphis mit einem Scheck über fünfzigtausend Dollar.
    Ich übergab ihn
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