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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier
Autoren: Nicholas Guild
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    KURZ NACH EINBRUCH der Dunkelheit setzte der erste Wintersturm ein. Den ganzen Tag über war es ungewöhnlich warm gewesen, so als hätte der Sommer es sich anders überlegt und beschlossen, für immer in Makedonien zu verweilen. Doch kaum waren die letzten glutroten Strahlen der untergehenden Sonne erloschen, wurde der Wind, der vom Meer hereinwehte, plötzlich kalt. Bald fielen feuchte, schwere Schneeflocken in dichtem, geräuschlosem Treiben auf die schmutzigen Straßen von Pella. Die Menschen standen in ihren Türen und sahen voller Ehrfurcht zu. Doch niemand sprach von einem Omen. Die Götter waren launisch so hoch im Norden, und so etwas war schon öfter passiert.
    Nach kaum einer Stunde war der Hof im Palast des Königs Amyntas unter einer beinahe drei Finger hohen Decke begraben. Um Mitternacht war die Welt weiß und stumm. Das geschäftige Treiben der Menschen schien mit der Sonne untergegangen zu sein.
    Doch der Schein trog, denn im Palast selbst war es alles andere als still. In den Frauengemächern stöhnte Eurydike, die Hauptfrau des Königs, leise unter den Wehen ihrer vierten Niederkunft, und im großen Saal tranken der König und seine Gefährten unverdünnten Wein und erfüllten die Luft mit ihrer ausgelassenen Fröhlichkeit.
    Etwa hundert der tapfersten Edlen des Landes, deren harte Gesichter im flackernden Schein der Fackelnnoch kantiger wirkten, lachten und schrien und schlugen mit den Fäusten auf die langen Tische, die in willkürlicher Anordnung aufgestellt schienen und doch eine strikte Hierarchie repräsentierten. In der Schlacht umringten diese Männer den König und schützten sein Leben mit dem ihren, und auch ihr Feiern wirkte beinahe wie eine Schlacht, deren Lärm die Wände erzittern ließ.
    Ein Mann betrat den Festsaal – keine imposante Gestalt wie die anderen, aber auch kein Diener. Er sah sich um wie einer, der den Schauplatz einer Katastrophe betrachtet. Seine Tunika und auch sein kurzer, weißer Bart waren mit Blut befleckt. Es war Nikomachos, der Leibarzt des Königs und sein enger Vertrauter.
    Betretenes Schweigen senkte sich über den Saal, als er auf Amyntas’ Liege zuging und sich über ihn beugte.
    »Mein Gebieter…«
    Der König, die Haut um seine Augen furchig und spröde wie eine alte Ledermaske, sah verständnislos zu dem Arzt hoch, legte ihm dann den Arm um die Schultern und zog ihn näher zu sich. Es war eine Geste unbeschwerter, weinseliger Vertrautheit.
    »Was ist, Nikomachos? Willst du mir sagen, daß alte Männer wissen sollten, wann es Zeit ist für sie, ihr Lager aufzusuchen?«
    Er fing an zu lachen, hielt aber plötzlich inne, strich dem Arzt mit der flachen Hand über den Bart und starrte das Blut an seinen Fingern an.
    »Dann ist es also schlecht ausgegangen? Ist sie tot?«
    »Sie lebt, mein Gebieter, und das Kind ebenso. Aber ich kann nicht sagen, ob sie beide morgen noch am Leben sein werden.«
    Amyntas, der vielleicht weniger betrunken war, als es den Anschein hatte, musterte einen Augenblick lang das Gesicht seines Freundes. Die beiden kannten sichschon sehr lange, seit dem Exil des Königs, als die Illyrer ihn für eine kurze Zeit aus seinem eigenen Land vertrieben und ihn gezwungen hatten, unter Fremden zu leben. Nikomachos war ein Mann, dem man vertrauen konnte, ein Mann, der seine Worte mit Bedacht wählte.
    »Ist das Kind ein Junge?«
    »Ja, mein Gebieter. Es ist ein Sohn.«
    »Dann komme ich wohl besser mit.«
    Er stand auf, stieg über den Tisch, als wäre es nur ein gefällter Baumstamm, und stieß dabei mit einer ungeduldigen Bewegung seine Trinkschale und den Teller mit gebratenem Fleisch um, die klappernd zu Boden fielen.
    »Kein Grund zur Sorge, meine Kameraden und Brüder«, rief er mit breitem Grinsen. »Feiert nur weiter, denn ich werde bald wieder bei euch sein. Es ist nur eine Kleinigkeit, die mich wegruft, eine der Ungelegenheiten des häuslichen Lebens.«
    In dem Gelächter, das folgte, nickte er zwei Männern zu, die auf Liegen neben der seinen ruhten.
    »Ptolemaios, mein Vetter – und du, Lukios. Ihr werdet uns begleiten. Die Geburt eines Prinzen ist ein öffentliches Ereignis, und ich werde meinem Sohn nicht die Aufwartung seiner Untertanen verweigern, auch wenn er morgen schon tot sein kann.«
    Ptolemaios war als erster auf den Beinen. Er war groß und stattlich, und sein glänzender schwarzer Bart konnte das schwache Lächeln nicht verbergen, das alles versteckte. Er hatte das Gebaren eines Günstlings, und der
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