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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste
Autoren: John Grisham
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sicher, hätte mich jemand »zur Vernunft« gebracht.
    Aber mit dreiundzwanzig Jahren glaubt man, sich vor nichts fürchten zu müssen. Man hat nichts, und folglich hat man auch nichts zu verlieren.
    Meiner Meinung nach sollte es etwa ein Jahr dauern, bis die Zeitung schwarze Zahlen schrieb. Zunächst stiegen die Erträge auch nur langsam an. Dann wurde Rhoda Kassellaw ermordet. Vermutlich liegt es in der Natur dieses Geschäfts, dass die Auflage nach einem: Gewalt-verbrechen in die Höhe schießt, denn die Leute wollen 19

    Details erfahren. In der Woche vor ihrem Tod hatten wir zweitausendvierhundert Exemplare verkauft, in der danach fast viertausend.
    Es war kein gewöhnlicher Mord.

    Ford County war ein friedliches Fleckchen Erde, wo die Menschen gläubige Christen waren oder zumindest vorgaben, es zu sein. Schlägereien waren an der Tagesordnung, doch in diese Auseinandersetzungen waren in der Regel Mitglieder der Unterschicht verwickelt, die in Bierkneipen oder ähnlichen Kaschemmen herumhingen.
    Einmal in der Woche schoss ein ungebildeter weißer Landarbeiter auf seinen Nachbarn, vielleicht auch auf seine Frau, und an jedem Wochenende gab es in den Bars der Schwarzen mindestens eine Messerstecherei. Tote waren bei diesen Zwischenfällen fast nie zu beklagen.
    Ich war zehn Jahre lang Besitzer der Zeitung, von 1970
    bis 1980, aber über Morde in Ford County mussten wir so gut wie nie berichten. Und keiner war so brutal wie der an Rhoda Kassellaw, keiner so vorsätzlich. Noch dreißig Jahre später denke ich jeden Tag daran.
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    hoda Kassellaw lebte in Beech Hill, knapp zwanzig Kilom
    R eter nördlich von Clanton, direkt an der schmalen, asphaltierten Landstraße. Die Blumenbeete vor ihrem bescheidenen grauen Haus waren durch keinerlei Unkraut verunziert und wurden täglich gepflegt, auch der dichte Rasen war ordentlich geschnitten. Neben der mit hellen Kieselsteinen bestreuten Auffahrt fand sich eine bunte Kollektion von Rollern, Bällen und Fahrrädern. Ihre beiden kleinen Kinder spielten häufig draußen und blickten allenfalls auf, wenn gelegentlich ein Auto vorbeikam.
    Es war ein hübsches Häuschen auf dem Land, nur einen Steinwurf von dem der Familie Deece entfernt. Der junge Mann, der Rhoda Kassellaws Haus einst gekauft hatte, war irgendwo in Texas bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, und sie war mit achtundzwanzig Witwe geworden. Mit der Lebensversicherung des Verstorbenen konnten das Haus und der Wagen abbezahlt werden, der Rest des Geldes wurde angelegt, damit Rhoda über ein bescheidenes monatliches Einkommen verfügte und sich weiterhin zu Hause um die Kinder kümmern konnte. Auch sie verbrachte viele Stunden draußen, wo sie sich um den Gemüsegarten kümmerte, Blumen eintopfte, Unkraut jätete oder die Beete vor dem Haus mulchte.
    Sie blieb für sich. Die alten Damen von Beech Hill sahen in ihr eine Musterwitwe, die nicht ausging, traurig dreinschaute und ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auf einen gelegentlichen Kirchgang beschränkte.
    Sie fanden lediglich, das hätte sie regelmäßiger tun sollen.
    Kurz nach dem Tod ihres Ehemannes schmiedete Rhoda 21

    Pläne, zu ihrer Familie in Missouri zurückzukehren. Wie ihr verstorbener Mann, den ein Job hierher geführt hatte, stammte auch sie nicht aus Ford County. Aber das Haus war bezahlt, die Kinder waren glücklich und die Nachbarn nett. Außerdem zeigte ihre Familie ein auffällig großes Interesse daran, wie viel ihr die Lebensversicherung ausbezahlt hatte. Also blieb sie. Obwohl sie der Gedanke an einen Umzug auch weiterhin beschäftigte, konnte sie sich nie dazu aufraffen.
    Rhoda war eine ausgesprochen hübsche Frau, wenn sie es sein wollte, doch das kam nicht besonders häufig vor.
    Ihr schlanker, wohlgeformter Körper blieb dem Blick in der Regel durch ein weit geschnittenes, bügelfreies Baumwollkleid entzogen – wenn nicht gar durch ein viel zu großes, kariertes Flanellhemd, das sie bei der Gartenarbeit bevorzugt trug. Sie schminkte sich kaum und trug ihr langes blondes Haar immer hochgesteckt. Was sie aß, stammte zumeist aus ihrem ohne Kunstdünger bewirtschafteten Garten, und ihre Haut hatte einen gesunden, zarten Schimmer. Eine derart attraktive junge Witwe wäre normalerweise ein heiß umkämpfter Schwarm der Männerwelt gewesen, doch Rhoda blieb lieber allein.
    Nachdem sie drei Jahre lang getrauert hatte, machte sich in ihr jedoch Unruhe breit. Auch sie wurde nicht jünger, und die Jahre zogen vorüber. Sie war
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