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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Autoren: Wilfried Steiner
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    Eins
     
    »Wenn wir nach Hause kommen«, sagte Isabel, »müssen wir uns trennen.«
    »Gute Idee«, sagte ich und lachte. Wir saßen in einer Taverne am Strand, Isabels nackte Zehen gruben sich in den Sand, es roch nach Salzwasser und altem Frittieröl. Ich hatte gerade den letzten Bissen Dorade mit einem Schluck dieser Weine hinuntergespült, die in Griechenland so gut schmeckten. Aber wehe, man nahm sie mit nach Hause. Da offenbarten sie schonungslos ihre Mittelmäßigkeit. Allerdings schmeckten sie auch in Griechenland nur gut, wenn man Griechenland mochte. Ich mag Griechenland nicht besonders.
    Die letzten beiden Wochen mit Isabel in einem von zahlreichen Kakerlaken bewohnten Apartment in Matala waren nicht ganz reibungslos verlaufen. Nicht gerade zweite Flitterwochen. Aber es war nicht wichtig. Morgen würde ich wieder in meinem Antiquariat sein, Isabel in ihrem Filmclub, Kreta würden wir nicht vermissen. Und Kreta uns auch nicht. Wir verbrachten unsere Zeit, wir bewohnten unsere Welten, wir liebten uns, wie man sich eben liebt nach fünfzehn Jahren. Wir hatten einander. Das war nicht wenig. Mehr konnte man vom Leben nicht verlangen.
    Isabel nahm meine Hand. Entwand mir das Weinglas, energisch, und stellte es neben den Grätenteller. Irgendetwas hatte ihre Augen verdunkelt, das Blaugrau wich einem düsteren Anthrazit. Brach ein Sturm herein über Kreta? Oder war da nur eine winzige Wolke, direkt über ihrer Stirn?
    »Hör mir zu«, sagte Isabel. »Es ist mein Ernst.«
    Doch eine Sturmflut im Anmarsch. Der Boden unter meinem lächerlichen Tavernenstühlchen schwankte. Ich begriff gar nichts. Nur die Bedrohung.
    »Es tut mir leid«, sagte Isabel. »Aber ich kann nicht mehr.«
    Der Kellner kam, stellte zwei Gläser Ouzo vor uns auf den Tisch. Er sagte ein Wort, das man erwidern musste. Es bedeutete so viel wie »manchmal bin ich froh, dass Leute, die ich zutiefst verachte, für meinen Lebensunterhalt aufkommen«. Auf Griechisch hieß das »Jamas!«
    »Jamas«, sagte ich.
    »Jamas«, sagte Isabel.
    Dann schwiegen wir.
    Es war wohl an mir, etwas zu sagen. Aber was? »Ist das dein Ernst?« kam nicht in Frage, das hatte sie ja schon gesagt. Es war ihr Ernst. Aber es konnte nicht ihr Ernst sein. Undenkbar. Ich trank den Ouzo in einem Schluck aus und sprach aus dennoch rostiger Kehle den dümmsten aller möglichen Sätze:
    »Geht es um jemand anderen?«
    Gut, ich hätte auch »hast du dich verliebt?« sagen können, die pathetischere Variante, oder mit einem kühnen Sprung, der die selbstgebastelte Hürde gleich mitüberwunden hätte, »wer ist es?«
    Aber ich sagte eben, was ich sagte. Die kretische Flut zischte herein, spritzte mir ein wenig Salzwasser ins Auge. Dort gehörte es auch hin, mittlerweile. Salz zu Salz, Wasser zu Wasser. Ich war froh, wenn wir endlich heimkamen.
    »Du hast nichts begriffen«, sagte Isabel. Das wusste ich. Das war mir klar. Das stand außer Zweifel.
    »Wir führen doch«, sagte ich schwach, »ein angenehmes Leben, gehen uns selten auf die Nerven, und manchmal haben wir viel Spaß miteinander.«
    »Das ist genau das Problem, Arthur«, sagte Isabel. »Dass du allen Ernstes glaubst, das würde reichen. Aber mir ist das zu wenig. Ich bekomme keine Luft mehr.« Sie fischte die Zigaretten aus ihrer Tasche und zündete sich eine an.
    »Dann rauch eben nicht so viel«, sagte ich. Ich wollte sie zum Lachen bringen. Oder mich. Mittlerweile trank ich den Fusel aus der Karaffe, was meinen Würdefaktor nicht erhöhte. Isabel lachte nicht, sie stieß den Rauch so heftig aus, dass es klang, als bliese sie durch ein Bambusrohr einen Curare-Pfeil in meine Richtung. Zack! steckte er mir schon mitten in der Brust.
    »Ist es«, ich versuchte es erneut, »der Altersunterschied?« Hätte ja sein können. Immerhin zwölf Jahre. War es aber wohl doch nicht, wenn ich ihren Blick richtig deutete.
    Wir schwiegen wieder ein bisschen. Das Meer hatte sich mittlerweile seinen dunkelgrauen Schlafanzug angelegt und wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Ich nahm die Gabel und trennte den Kopf der Brasse vom Rückgrat. Henker eines toten Fisches. Ich würde wieder zu rauchen beginnen, so viel war klar.
    »Was ist es denn, was dir fehlt?« Einen hatte ich noch. »Ein Abenteuer?«
    »Vielleicht«, sagte Isabel, und etwas wie Verbitterung huschte über ihre Züge. Und Mitleid, das auch. »Aber nicht so, wie du dir das vorstellst.«
    Woher wollte sie wissen, was ich mir vorstellte? Gut, in fünfzehn Jahren
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