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Geisterbahn

Geisterbahn

Titel: Geisterbahn
Autoren: Dean R. Koontz
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PROLO G
    Ellen Straker saß in dem Airstream-Wohnwagen am Küchentisch, lauschte dem Nachtwind und versuchte, das seltsame Kratzen zu überhören, das aus der Korbwiege des Babys kam.
    Große Eichen, Ahornbäume und Birken schwankten in dem dunklen Wäldchen, in dem der Wohnwagen abgestellt war. Blätter raschelten wie die gestärkten, schwarzen Röcke von Hexen. Der Wind fegte vom bewölkten Himmel über Pennsylvania hinab, schob die Augustdunkelheit zwischen den Bäumen hindurch, brachte den Wohnanhänger leicht zum Schaukeln, ächzte, murmelte, seufzte und trieb den schweren Geruch bevorstehenden Regens vor sich hin. Er nahm die chaotischen Geräusche des nahen Jahrmarkts auf, zerfetzte sie, als wären sie Bruchstücke eines fadenscheinigen Stoffes, und trieb die zerlumpten Lärmfäden durch das Fliegengitter, das das offene Fenster über dem Küchentisch bedeckte.
    Trotz des unaufhörlichen Lärms der Windböen konnte Ellen noch die schwachen, entnervenden Geräusche hören, die aus der Wiege am anderen Ende des sieben Meter langen Wohnwagens kamen. Ein unentwegtes Kratzen. Trockenes Krächzen. Sprödes Knistern. Ein Flüstern wie von Papier. Je mehr sie sich bemühte, diese Geräusche zu verdrängen, desto deutlicher hörte Ellen sie.
    Sie fühlte sich leicht benommen. Das war wahrscheinlich der Fusel, dessen Wirkung endlich einsetzte. Sie war keine große Trinkerin, hatte in der letzten Stunde aber vier Bourbon hinuntergekippt. Vielleicht auch sechs. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, ob sie drei- oder nur zweimal zur Flasche gegangen war.
    Sie betrachtete ihre zitternden Hände und fragte sich, ob sie betrunken genug war, um wegen des Babys etwas zu unternehmen.
    Hinter dem Fenster zuckten ferne Blitze. Donner rollte vom Rand des dunklen Horizonts heran.
    Ellen richtete den Blick langsam auf die Korbwiege, die in dem Schatten am Fuß des Bettes stand, und allmählich wurde ihre Furcht von Wut verdrängt. Sie war wütend auf Conrad, ihren Mann, und auf sich selbst, weil sie sich das eingebrockt hatte. Aber hauptsächlich war sie wütend auf das Baby, weil das Baby der schreckliche, unbestreitbare Beweis für ihre Sünde war. Sie wollte es töten - töten und begraben und vergessen, daß es jemals existiert hatte -, aber sie wußte, sie mußte betrunken sein, um das Kind zu ersticken.
    Jetzt glaubte sie, fast soweit zu sein.
    Sie erhob sich vorsichtig und ging zur Spüle. Sie kippte die halb geschmolzenen Eiswürfel aus dem Glas, drehte das Wasser auf und spülte das Whiskeyglas aus.
    Obwohl das strömende Wasser tosend auf die Metalloberfläche des Spülbeckens schlug, konnte Ellen das Baby noch immer hören. Es zischte. Zog die kleinen Finger über die Oberflächen der Innenseite der Korbwiege. Versuchte hinauszukommen.
    Nein. Das bildete sie sich bestimmt nur ein. Sie konnte diese schwachen Geräusche bestimmt nicht über dem Trommeln des Wassers hören.
    Sie drehte den Wasserhahn zu.
    Einen Augenblick lang schien die Welt mit grabesähnlicher Stille erfüllt zu sein. Dann hörte sie wieder das Rauschen des Windes; er trug die verzerrte Musik einer Dampforgel mit sich, die schwungvoll auf dem Mittelgang pfiff.
    Und aus der Wiege: ein Kratzen und Scharren.
    Plötzlich schrie das Kind auf. Es war ein rauhes, knirschendes Kreischen, ein wütendes Plärren der Frustration und des Zorns. Dann Ruhe. Ein paar Sekunden lag das Baby still und völlig reglos da, bevor es wieder unruhig wurde.
    Mit zitternden Händen gab Ellen frisches Eis in ihr Glas und goß Bourbon darüber. Es war nicht ihre Absicht gewesen, noch mehr zu trinken, aber der Schrei des Kindes war wie ein intensiver Hitzeschwall gewesen, der den Alkoholdunst verbrannte, in dem sie sich bewegt hatte. Sie war wieder nüchtern, und in diesem Zustand war sie allzu anfällig für Angst.
    Obwohl die Nacht warm und feucht war, erschauerte sie.
    Sie war nicht mehr imstande, das Kind zu ermorden. Sie brachte es nicht einmal über sich, näher an die Wiege heranzutreten.
    Aber ich muß es tun! dachte sie.
    Sie kehrte zur Sitzbank zurück, die den Küchentisch umringte, setzte sich und nippte an dem Whiskey, versuchte, den Mut zurückzuerlangen, der mit dem Rausch kam, die einzige Art von Mut, den sie anscheinend aufbringen konnte.
    Ich bin zu jung, um diese Last zu tragen, dachte sie. Ich habe nicht die Kraft, um damit fertig zu werden. Ich gestehe es ein. Gott möge mir helfen, ich habe einfach nicht die Kraft.
    Mit zwanzig Jahren war Ellen Straker nicht
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