Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Test
     
    »Kadett Pirx!«
    Eselswieses Stimme riß ihn aus seinen Träumen. Er hatte sich gerade vorgestellt, in dem Uhrtäschchen seiner alten Zivilhose unten im Schrank stecke noch ein Zweikronenstück. Eine klingende silberne Münze, längst vergessen. Vor einer Weile war er noch sicher gewesen, daß da nichts war, höchstens eine alte Postquittung, aber nach und nach nahm die Idee Gestalt an, daß die Münze dort sein konnte. Als Eselswiese ihn beim Namen rief, stand es für ihn fest, daß er das runde Geldstück deutlich zwischen den Fingern fühlte und sah, wie es sich in der kleinen Tasche abzeichnete. Ich könnte ins Kino gehen und würde dann immer noch eine halbe Krone übrigbehalten, dachte er. Oder nur zur Wochenschau, dann blieben mir sogar anderthalb Kronen. Wenn ich eine Krone zurücklege, kann ich für den Rest den Automaten spielen lassen. Wer weiß, vielleicht spuckt er mir pausenlos Kleingeld in die hingehaltene Hand – so viel, daß ich es kaum in den Taschen unterbringen kann ... Ich würde nur immer die Hand hinhalten, nur immer hinhalten ... Hatte nicht Smiga so etwas erlebt? Pirx beugte sich schon unter der Last des unverhofften Gewinns, da wurde er von Eselswiese unsanft geweckt.
    Der Dozent verschränkte die Hände auf dem Rücken, verlagerte sein Gewicht auf das gesunde Bein und fragte: »Was täten Sie, Kadett, wenn Sie bei einem Patrouillenflug auf das Schiff eines fremden Planeten stießen?«
    Pirx öffnete den Mund, als wollte er die darin enthaltene Antwort vertreiben. Er sah aus wie der letzte Mensch – der letzte Mensch auf Erden, der zu erklären wüßte, was er zu tun hat, wenn er Raketen von fremden Planeten begegnet.
    »Ich würde näher heranfliegen«, sagte er mit dumpfer, merkwürdig rauher Stimme. Die Lehrgangsteilnehmer wurden still. Sie witterten eine willkommene Abwechslung.
    »Sehr gut«, sagte Eselswiese väterlich, »aber was weiter?«
    »Ich würde stoppen«, platzte Kadett Pirx heraus, denn er fühlte, daß er im Niemandsland umhertappte, weit vor der vordersten Linie seiner Kenntnisse. Fieberhaft durchsuchte er sein leeres Hirn nach Paragraphen für das Verhalten im Raum. Irgendwann muß ich mal was darüber gelesen haben, dachte er. Bescheiden senkte er den Blick und sah, daß Smiga ihm etwas vorsagen wollte – er bewegte dabei nur die Lippen. Pirx begriff und wiederholte laut, bevor ihm der Sinn der Worte klar wurde: »Ich würde mich ihnen vorstellen.«
    Das Auditorium brüllte wie ein Mann. Eselswiese kämpfte eine Sekunde mit sich, lachte dann auch, wurde aber gleich wieder ernst.
    »Kadett, Sie kommen morgen mit dem Navigationsbuch zu mir. Kadett Boerst!«
    Pirx setzte sich auf den Stuhl, als sei der aus noch nicht völlig erstarrtem Glas. Er nahm es Smiga nicht einmal sehr übel – so war er eben, er ließ sich keine Gelegenheit entgehen. Von dem, was Boerst sagte, hörte er kein Wort – er zeichnete Kurven auf der Tabelle, und Eselswiese kommentierte die Antworten des Elektronenkalkulators auf seine Art, so daß der Antwortende den Faden verlor. Die Vorschrift ließ die Hilfe eines Kalkulators zu, Eselswiese hatte in dieser Sache jedoch seine eigene Auffassung. »Der Kalkulator ist auch nur ein Mensch«, pflegte er zu sagen. »Er kann entzweigehen.« Pirx konnte ihm das nicht einmal übelnehmen, er nahm nie etwas übel. Fast nie. Fünf Minuten später weilte er in Gedanken schon wieder ganz woanders, er stand in der Dyerhoffstraße vor einem Schaufenster und sah sich Gaspistolen an, die nicht nur für Gaspatronen, sondern auch für scharfe Munition oder Blindpatronen geeignet waren. Eine Pistole mit hundert Schuß kostete sechs Kronen ... Pirx war nicht mehr anwesend, er war in der Dyerhoffstraße und starrte ins Schaufenster ...
    Als das Klingelzeichen ertönte, verließ er ruhig und gemessen den Saal, nicht lärmend und stampfend, wie der erste beste. Schließlich waren sie keine Kinder! Nahezu die Hälfte bewegte sich in die Messe – es gab zwar nichts zu essen um diese Zeit, aber es gab etwas zu sehen: die neue Serviererin, von der es hieß, sie sei schön. Pirx ging langsam zwischen den Glasschränken hindurch, die mit Sterngloben vollgestellt waren, und mit jedem Schritt bröckelte ein Stück von der Hoffnung ab, daß sich das Zweikronenstück in der Tasche anfinden könnte. Unten, auf der letzten Stufe, wußte er, daß dort noch nie ein Geldstück gewesen war.
    Am Ausgang standen Boerst, Payartz und Smiga. Payartz war ein halbes Jahr sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher