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Liebster Mitbewohner

Liebster Mitbewohner

Titel: Liebster Mitbewohner
Autoren: Fiona Winter
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Liebster Mitbewohner
     
    Kapitel 1
     
    „Wir kennen uns seit der Schulzeit! Seit der Grundschule! Wie lange sind wir jetzt schon befreundet…?“ Ich tat, als würde ich überlegen.
    Daniel biss sich auf die Unterlippe.
    „Seit beinahe zwanzig Jahren!“
    „In der Grundschule waren wir doch noch gar nicht befreundet!“, rief mein angeblich bester Freund empört aus. „Maja, du verstehst das nicht. Ich kann dich nicht hier wohnen lassen.“
    Die Endgültigkeit in seiner Stimme trieb mir zum wiederholten Male an diesem Tag Tränen in die Augen.
    „Oh nein, bitte nicht heulen.“
    Ich zog die Nase hoch und kämpfte die Tränen zurück. „Wenn, dann heule ich jedenfalls nicht wegen dir! Obwohl du genau das verdient hättest. Heute ist der schlimmste Tag meines Lebens und ich verlange nicht mal von dir, dass du dich mit mir betrinkst oder von Club zu Club ziehst. Nicht mal verbalen Trost. Nur das blöde zweite Zimmer deiner WG, das sowieso seit zwei Wochen leer steht!“
    „Jetzt nicht mehr.“
    Mir klappte der Mund auf. Vor Schreck vergaß ich einen Moment zu atmen.
    „Das Zimmer ist weg.“
    „Weg?“
    „Es tut mir leid, wirklich, aber ich habe seit zwei Tagen einen neuen Mitbewohner.“
    Mit einem Mal wich jegliche Kraft aus meinem Körper. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die grün gestrichene Flurwand. Mein Blick blieb an der großen Reisetasche hängen, die ich in Eile mit den nötigsten Sachen vollgestopft hatte.
    Ich war so sicher gewesen, dass ich in Daniels WG unterkommen würde. Was jetzt? In ein Hotel? Die Vorstellung tat sich wie ein tiefer, finsterer Abgrund vor mir auf. Ich sah mich ganz allein in einem kühlen, unpersönlichen Raum sitzen. Wahrscheinlich würde ich mir vor lauter Einsamkeit und unverarbeiteter Trauer Alkohol aufs Zimmer bestellen und dabei nicht nur mein dürftiges Gehalt vertrinken, sondern gleichzeitig zur Alkoholikerin werden.
    „Warum fährst du nicht zu deinen Eltern?“
    „Ist das dein Ernst? Du weißt genau, dass die mittlerweile im letzten Kuhkaff wohnen.“ Trotzdem besaß die Vorstellung, mich so richtig bemuttern zu lassen, einen gewissen Reiz. Aber länger als fünfunddreißig bis vierzig Minuten am Tag hielt ich die Fürsorglichkeit meiner Mutter ohnehin nicht aus. Und den Rest des Tages säße ich dann zwei Zugstunden von meinem Job und meinen Freunden entfernt zwischen Pferdeställen und Heuballen in der Ödnis.
    „Was ist mit deiner Freundin von der Arbeit, diese Elena?“, bemüh te Daniel sich weiter, mir Alternativen aufzuzeigen und somit sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. „Kann sie dich nicht für ein paar Tage aufnehmen?“
    „Die wohnt mit ihrem Freund zusammen und beschwert sich ständig, dass der Platz schon für zwei Personen nicht reicht.“
    „Ach stimmt, hast du mal erzählt. Und Nadine? Mit der bist du doch auch schon seit der Schule befreundet.“
    „Die ist gerade in Frankreich und macht da ein Praktikum.“
    „Oh… okay. Wer käme denn noch in Frage? Ich kenne ja leider sonst keine Freunde von dir.“
    „Weil ich sonst keine Freunde habe. Danke, dass du mich daran erinnerst.“ Der schlimmste Tag meines Lebens wurde tatsächlich immer schlimmer. Jetzt war ich nicht mehr nur tieftraurig und verlassen, sondern merkte auch, dass es mit den berühmten ‚Wir-sind-immer-für-dich-da – Freunden‘ nicht wirklich weit her war.
    „ Okay, stopp!“, befahl Daniel in diesem Moment. „Du hörst sofort auf, dich im Selbstmitleid zu suhlen. Du hast schließlich jede Menge Freunde! Du kennst doch so viele Leute von der Uni.“
    „Nur , weil ich mit denen studiere und wir ab und zu gemeinsam in der Mensa essen, kann ich noch lange nicht bei denen einziehen!“, rief ich lauter als beabsichtigt. Ich zwang mich, ein paar ruhige Atemzüge zu tun, bevor ich weitersprach. „Hör zu, die Diskussion bringt mich nicht weiter.“ Ich musste jetzt praktisch denken. Alles Selbstmitleid, jegliche falsche Scham beiseitelassen. Ich nahm den letzten Rest meiner Kräfte zusammen und blickte Daniel entschlossen in die Augen. „Ich weiß nicht, wo ich hin soll.“ Ich zögerte, weil mir jetzt schon Leid tat, was ich gleich sagen würde. „Wirf ihn raus.“
    „Was?“
    „Wenn es sich bei deinem neuen Mitbewohner nicht um deine todkranke Mutter handelt – und wir beide wissen, dass du deine Mutter, auch wenn sie krank wäre, niemals bei dir wohnen lassen würdest – muss es doch möglich sein, dass du ihm die Lage erklärst. Und ihn höflich darum
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