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"Kommst du Freitag"

"Kommst du Freitag"

Titel: "Kommst du Freitag"
Autoren: Dorit Kowitz
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vollgestellt mit dem riesigen Esstisch des Wohnungsbesitzers, der seinerseits nach Chemnitz zur Arbeit pendelte und das Monstrum an den Wochenenden in die Küche trug, für seine Dinner. Darum fand ich meinen Computer jeden Montag auf dem Fußboden wieder. Gemütlich ist anders. Ging ich abends aus und nahm das Auto, bestrafte mich der Geist grüner hanseatischer Verkehrspolitik: Ich fand nachts nie einen Parkplatz in diesem entsetzlichen Einbahnstraßensystem, kam deshalb nicht vor zwei Uhr ins Bett und verfluchte morgens halb neun in der U-Bahn unfassbar müde und in großer Selbstgerechtigkeit die fremde Stadt. Schon damals war klar, dass es zwischen mir und Hamburg nicht funken würde; man sollte auf solche Zeichen achten. Ich würde sie ein paar Jahre später noch einmal ignorieren.
    Tagsüber wurde ich Zeuge, wie sich angehende Journalisten in einer Schule binnen kürzester Zeit ins Pennälerstadium zurückentwickelten, auch wenn sie fast dreißig waren: Eine sich dünn hungernde Frau himmelte einen Referenten an, der eindeutig schwul war. Angehende Großreporter legten eine rutschgefährliche Schleimspur zur Schulleiterin, um die besseren Praktikaplätze zu ergattern. Und ein Lehrgangsteilnehmer sprach die ganze Zeit über so wenig und das so leise, dass man am Ende nicht wusste, ob der Mann wirklich existiert hatte.
    Ich sah zu, dass ich im einzigen Raucherzimmer der Klasse landete und pflegte offenbar die Rolle einer notorischenGrantlerin, wie ich 18 Monate später dem Abschlusskompendium entnehmen konnte.
    So eine Schulsituation in der Fremde mit lauter Erwachsenen mag sich ein besorgter Lebensmensch daheim ausmalen wie einen Ärztekongress oder eine Weiterbildung für Banker oder die „Internationale Tourismusbörse“ in Berlin für Reisekaufleute – als Ausnahmesituation, nur dass diese nicht ein paar Tage oder Wochen dauert, sondern eineinhalb Jahre. Man landet in einer Art Camp, in dem alle hoch hinaus wollen, darum irre viel arbeiten und ihr Privatleben nicht mehr kennen.
    Messen, Seminare und Kongresse bestimmter Berufsgruppen haben den Ruf, Pfuhle der Sünde zu sein; es wird da zur Seite gesprungen werden, dass die Schwarte kracht. Eine Journalistenschmiede voller Ehrgeizlingen, zumal in Hamburg, ist alles andere, nur das nicht. Zwar bilden sich dort mitunter Paare, aber die meinen es in der Regel gleich ernst, ziehen zusammen, bekommen ökologisch einwandfreie Kinder und wollen trotzdem im Job schnell ganz nach oben.
    Ich war, ohne es mir einzugestehen, unter Gleichen. Mein Lebensmensch 439 Kilometer entfernt machte sich keine Sorgen, zu Recht.

Der kleine Unterschied
    Die meisten hatten feste Freunde und Freundinnen, die irgendwo in Frankfurt, Bielefeld oder Halle hockten; manche wurden vorgestellt, andere nicht. Ich zeigte Paul nie vor, es ergab sich einfach nicht. Ich hatte umsonst zwei Matratzen aus Leipzig nach Hamburg gekarrt, denn er besuchte mich nicht in der Zeit der Ausbildung, und ich wollte ihn auch gar nicht dahaben. Seine Wohnung war sowieso viel schöner.
    Schon im Laufe der kommenden zwei Jahre teilte ein Gutteil der vorgezeigten Partner nicht mehr das Leben mit meinen Mitschülern in Hamburg. Ich hätte mir nun Sorgen um meine eigenen Verhältnisse machen können, wollte ich aber nicht. Eifersucht mag eine mitunter nützliche Warnung sein, aber mit Mitte zwanzig und dem einhergehenden beträchtlichen Ego sah ich darin nichts als eine an den Nerven zehrende und nutzlose Beschäftigung. Ich hatte mir dieses Gefühl versagt und konnte mich mühelos daran halten.
    Meine Freundin Helene, eine ansonsten sehr kluge und erfolgreiche Architektin, fragt mich bis heute dauernd, wie ich das anstelle. Einfach so, sage ich ihr jedes Mal. Sie glaubt mir nicht. Sie glaubt nicht, dass man sich so ein Gefühl verbieten kann. Sie behauptet, ich kennte Eifersucht gar nicht. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
    Dass in den anderen Beziehungskisten der Deckel zuklappte, lag ja nicht an der unglaublich amourösen Atmosphäre in der fremden Stadt; die erschloss sich zumindest mir nicht. Es lag auch nicht an der wenigen Zeit, die diese Paare nur noch miteinander verbringen konnten. Es war anders: Die Zurückgebliebenen warteten entweder auf die Davongezogenen, oder sie zogen ihnen hinterher, machten aber in der neuen Stadt keine vergleichbare Erfahrung. Die Partner, diebald keine mehr waren, hatten entweder einen sehr, sehr anständigen (ich traue mich nicht zu sagen, langweiligen) Beruf oder noch immer
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